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9. September 2009


Hildeee und Tom

Thomas ... der aber immer Tom genannt wird ... war besonders freundlich an diesem Morgen ... und Hilde fand das ganz entzückend. "Hat er also ausnahmsweise mal dran gedacht" freute sie sich in Gedanken ... denn heute war ihr Hochzeitstag.

"Ja, an einem Tag wie heute hätten wir heiraten müssen ... 09.09.09 ... welch ein Datum ... doch damals war ein solches Datum weit und breit nicht in Sicht ... also wurde es der 9.9.85. Am 8.5.85 hätte es ja auch sein dürfen, aber Tom war da eher praktisch veranlagt ... "wenn man heiratet, dann ist es wichtig, "dass" man das tut und nicht ob es eine Schnapszahl ist" hatte er damals gesagt und damit war das Thema auch erledigt.

Er brachte jetzt nicht gerade das Frühstück ans Bett ... aber er brummelte mal nicht und sagte sogar "hallo Hildchen", was schon was besonderes war. "Hildchen" war selten geworden, "Hildeee" dafür mehrheitsfähig.

Aber heute war er nett ... und er hat sogar "24 Jahre" gesagt, ohne dabei ein grimmiges Gesicht zu machen. Gelacht hat er auch nicht dabei, aber man soll nicht zu viel verlangen.

Hildchen macht Frühstück wie immer, nur leichtfüßiger.

Die Kinder waren ja heute nicht da ... der Sohn im Zeltlager, die Tochter hat bei einer Freundin übernachtet.

"Die Kurzarbeit kann auch mal schön sein, wenn der Mann deswegen am Hochzeitstag zu Hause sein kann" sinniert Hilde und rührt ein bisschen liebevoller als sonst in ihrem Kaffee.

Tom liest trotzdem die Zeitung ... aber Hilde ist, als blickt er öfter obendrüber als sonst.

Der Tag plätschert so dahin, das Wetter ist nett und das Schönste: mittags waren Hilde und Thomas essen. Zwar nur in der Imbissbude mit Stühlen davor, aber immerhin. Er Currywurst und sie Frikadellen. Ein paar nette Floskeln, ein bisschen Small Talk (oder Dummgebabbel) ... war mal schön. Zumindest schöner als daheim alleine Geschirr zu spülen.

"Vielleicht könnten wir heute Abend uns ein bisschen auf die Terrasse setzen" fragte Hilde auf dem Heimweg ... und erntete das berühmte stumme Neingesicht. Thomas "sagt" nicht nein, er "guckt" nein. Und Hilde guckt dann traurig. "Musst du denn auch heute Abend ..." ... seine Antwort "ja ... du weißt doch". "Ja, ich weiß" ... Hildes Tag war soeben aus der Illusion des Hochzeitstags erwacht und normaler Brummelalltag geworden.

Jeden Mittwoch Abend traf sich Thomas mit ein paar Kollegen aus der alten Firma. Dort hatte er bis 2002 gearbeitet und als er 2004 zum jetzigen Arbeitgeber wechselte, begann dieser Stammtisch. Hilde war nicht dabei, sie kannte ein paar seiner früheren Kollegen flüchtig und das war nicht gerade ihre Wellenlänge. Zu laut, zu grob, zu viele Witze über Sex und blonde Frauen.

Hilde war zwar nur dunkelblond, aber das musste sie sich nicht antun.

Nur ... muss das auch heute sein ... Hilde wurde traurigwütend.

Bitte ... "kannst du nicht mir zu liebe mal daheim bleiben" ... Neingesicht ... "bitte ... guck doch mal, heute ist der 9.9.09 ... ein so tolles Datum werden wir nie wieder am Hochzeitstag haben" ... "bin gleich wieder da ... hol mir nur ne Flasche Wasser" sagt Thomas noch mitten in ihre Worte hinein, als hätte Hilde so leise gesprochen, dass man das nicht hört.

Jaja, der Mittwoch Abend war Thomas heilig ... aber der 09.09.09 war Hilde auch ausnahmsweise mal heilig.

Es wurde dann ziemlich stressig ... Hildeee ... und "ach komm" ... bis Hilde mal, was selten passierte, laut wurde und "ich mach das nicht mehr länger mit" rief ... mit feuchten Ärgeraugen.

Thomas wurde auch laut ... "nun mach doch keinen solchen Aufstand wegen dem blöden Datum ... nur wegen der vielen Neunen ... was willste denn, wir waren doch essen und es ist doch alles in Ordnung. Sagt es und verschwand eilig aus der Tür.

Hilde verstummte und denkt ein Wort, das sie ihren Kindern verboten hätte.

Thomas fuhr gerade aus der Garage raus ... da sieht Hilde, dass Thomas im Eifer des Gefechtes und in der Hektik der Streiterei den Geldbeutel vergessen hatte. Normalerweise kann das gar nicht passieren, denn Thomas geht immer in der gleichen Jeans fort, die er auch am Tag anhatte ... nur heute hatte er die Hose gewechselt und die neue hellblaue Jeans angezogen. Und so lag der Geldbeutel eben auf dem Schuhschrank.

"Doofmann" denkt Hilde, und noch "ich bin dir so blöd, dass ich das tue", nimmt den Geldbeutel, rennt nach draußen, um ihn ihrem Mann zu geben, wo sie doch eigentlich gar nicht will, das er fort geht. Aber so ist sie nun mal, die Hilde.

"Thomas, dein Geldbeu ..." ... dieser Satz wird durch einen Knall unterbrochen. Die Haustüre ist zugeschlagen. Das auch noch. Hilde steht wie die Freiheitsstatue, nur hat sie den Geldbeutel in der erhobenen Hand ... dafür aber keinen Schlüssel in der anderen. In diesem Moment fährt der Nachbar vorbei und fragt "ei Hilde, stehst du Modell oder was ist los" ...

Hilde ist sprachlos ... sie will alles gleichzeitig sagen, weiß aber grad nicht, wo sie anfangen soll. Ihr Gehirn rotiert und gibt ihr die Botschaft "du brauchst einen Schlüssel, Thomas den Geldbeutel ... wenn Dein Nachbar ihm nachfährt, kann er Thomas unterwegs anhalten und dann hat jeder, was er braucht" ...

... also schreit Hilde "fahr ihm nach" und stürmt in den Golf vom Nachbarn. Der antwortet "wem, wohin" ... und kriegt von Hilde erklärt, dass er Gas geben soll ... und da vorne rechts ... und dann immer geradeaus, aber schneller, als Thomas fährt.

Zwei Kilometer nach Ortsende sieht Hilde das Auto ihres Mannes und schreit "da isser ... da vorne isser" ... der Nachbar schmerzverzerrt das Gesicht, weil er lenken muss und sich deswegen nicht die Ohren zuhalten kann ... er hat den Finger schon an der Lichthupe, als Hilde fragt "wo fährt denn der hin ... seine alte Firma liegt doch geradeaus" ... dann ist Thomas auch schon abgebogen.

"Soll ich ihm nachfahren" fragt Heiner, der Nachbar, der inzwischen vergessen hatte, warum er eigentlich losgefahren war. "Ja ..." sagt Hilde ...

... und was sie nicht weiß, ist, dass dieses Ja ihr ganzes Leben verändern wird.

[ wird fortgesetzt ]
 



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