Hildeee und Tom
Thomas ... der aber immer Tom genannt wird ... war besonders freundlich an diesem Morgen ... und Hilde fand das
ganz entzückend. "Hat er also ausnahmsweise mal dran gedacht" freute sie
sich in Gedanken ... denn heute war ihr Hochzeitstag.
"Ja, an einem Tag wie heute hätten wir heiraten müssen ... 09.09.09 ...
welch ein Datum ... doch damals war ein solches Datum weit und breit
nicht in Sicht ... also wurde es der 9.9.85. Am 8.5.85 hätte es ja auch
sein dürfen, aber Tom war da eher praktisch veranlagt ... "wenn man
heiratet, dann ist es wichtig, "dass" man das tut und nicht ob es eine
Schnapszahl ist" hatte er damals gesagt und damit war das Thema auch
erledigt.
Er brachte jetzt nicht gerade das Frühstück ans Bett ... aber er
brummelte mal nicht und sagte sogar "hallo Hildchen", was schon was
besonderes war. "Hildchen" war selten geworden, "Hildeee" dafür
mehrheitsfähig.
Aber heute war er nett ... und er hat sogar "24 Jahre" gesagt, ohne
dabei ein grimmiges Gesicht zu machen. Gelacht hat er auch nicht dabei,
aber man soll nicht zu viel verlangen.
Hildchen macht Frühstück wie immer, nur leichtfüßiger.
Die Kinder waren ja heute nicht da ... der Sohn im Zeltlager, die
Tochter hat bei einer Freundin übernachtet.
"Die Kurzarbeit kann auch mal schön sein, wenn der Mann deswegen am
Hochzeitstag zu Hause sein kann" sinniert Hilde und rührt ein bisschen
liebevoller als sonst in ihrem Kaffee.
Tom liest trotzdem die Zeitung ... aber Hilde ist, als blickt er öfter
obendrüber als sonst.
Der Tag plätschert so dahin, das Wetter ist nett und das Schönste:
mittags waren Hilde und Thomas essen. Zwar nur in der Imbissbude mit
Stühlen davor, aber immerhin. Er Currywurst und sie Frikadellen. Ein
paar nette Floskeln, ein bisschen Small Talk (oder Dummgebabbel) ... war
mal schön. Zumindest schöner als daheim alleine Geschirr zu spülen.
"Vielleicht könnten wir heute Abend uns ein bisschen auf die Terrasse
setzen" fragte Hilde auf dem Heimweg ... und erntete das berühmte stumme
Neingesicht. Thomas "sagt" nicht nein, er "guckt" nein. Und Hilde guckt
dann traurig. "Musst du denn auch heute Abend ..." ... seine Antwort "ja
... du weißt doch". "Ja, ich weiß" ... Hildes Tag war soeben aus der
Illusion des Hochzeitstags erwacht und normaler Brummelalltag geworden.
Jeden Mittwoch Abend traf sich Thomas mit ein paar Kollegen aus der
alten Firma. Dort hatte er bis 2002 gearbeitet und als er 2004 zum
jetzigen Arbeitgeber wechselte, begann dieser Stammtisch. Hilde war
nicht dabei, sie kannte ein paar seiner früheren Kollegen flüchtig und
das war nicht gerade ihre Wellenlänge. Zu laut, zu grob, zu viele Witze
über Sex und blonde Frauen.
Hilde war zwar nur dunkelblond, aber das musste sie sich nicht antun.
Nur ... muss das auch heute sein ... Hilde wurde traurigwütend.
Bitte ... "kannst du nicht mir zu liebe mal daheim bleiben" ...
Neingesicht ... "bitte ... guck doch mal, heute ist der 9.9.09 ... ein
so tolles Datum werden wir nie wieder am Hochzeitstag haben" ... "bin
gleich wieder da ... hol mir nur ne Flasche Wasser" sagt Thomas noch
mitten in ihre Worte hinein, als hätte Hilde so leise gesprochen, dass
man das nicht hört.
Jaja, der Mittwoch Abend war Thomas heilig ... aber der 09.09.09 war
Hilde auch ausnahmsweise mal heilig.
Es wurde dann ziemlich stressig ... Hildeee ... und "ach komm" ... bis
Hilde mal, was selten passierte, laut wurde und "ich mach das nicht mehr
länger mit" rief ... mit feuchten Ärgeraugen.
Thomas wurde auch laut ... "nun mach doch keinen solchen Aufstand wegen
dem blöden Datum ... nur wegen der vielen Neunen ... was willste denn,
wir waren doch essen und es ist doch alles in Ordnung. Sagt es und
verschwand eilig aus der Tür.
Hilde verstummte und denkt ein Wort, das sie ihren Kindern verboten
hätte.
Thomas fuhr gerade aus der Garage raus ... da sieht Hilde, dass Thomas
im Eifer des Gefechtes und in der Hektik der Streiterei den Geldbeutel
vergessen hatte. Normalerweise kann das gar nicht passieren, denn Thomas
geht immer in der gleichen Jeans fort, die er auch am Tag anhatte ...
nur heute hatte er die Hose gewechselt und die neue hellblaue Jeans
angezogen. Und so lag der Geldbeutel eben auf dem Schuhschrank.
"Doofmann" denkt Hilde, und noch "ich bin dir so blöd, dass ich das
tue", nimmt den Geldbeutel, rennt nach draußen, um ihn ihrem Mann zu
geben, wo sie doch eigentlich gar nicht will, das er fort geht. Aber so
ist sie nun mal, die Hilde.
"Thomas, dein Geldbeu ..." ... dieser Satz wird durch einen Knall
unterbrochen. Die Haustüre ist zugeschlagen. Das auch noch. Hilde steht
wie die Freiheitsstatue, nur hat sie den Geldbeutel in der erhobenen
Hand ... dafür aber keinen Schlüssel in der anderen. In diesem Moment
fährt der Nachbar vorbei und fragt "ei Hilde, stehst du Modell oder was
ist los" ...
Hilde ist sprachlos ... sie will alles gleichzeitig sagen, weiß aber
grad nicht, wo sie anfangen soll. Ihr Gehirn rotiert und gibt ihr die
Botschaft "du brauchst einen Schlüssel, Thomas den Geldbeutel ... wenn
Dein Nachbar ihm nachfährt, kann er Thomas unterwegs anhalten und dann
hat jeder, was er braucht" ...
... also schreit Hilde "fahr ihm nach" und stürmt in den Golf vom
Nachbarn. Der antwortet "wem, wohin" ... und kriegt von Hilde erklärt,
dass er Gas geben soll ... und da vorne rechts ... und dann immer
geradeaus, aber schneller, als Thomas fährt.
Zwei Kilometer nach Ortsende sieht Hilde das Auto ihres Mannes und
schreit "da isser ... da vorne isser" ... der Nachbar schmerzverzerrt
das Gesicht, weil er lenken muss und sich deswegen nicht die Ohren
zuhalten kann ... er hat den Finger schon an der Lichthupe, als Hilde
fragt "wo fährt denn der hin ... seine alte Firma liegt doch geradeaus"
... dann ist Thomas auch schon abgebogen.
"Soll ich ihm nachfahren" fragt Heiner, der Nachbar, der inzwischen
vergessen hatte, warum er eigentlich losgefahren war. "Ja ..." sagt
Hilde ...
... und was sie nicht weiß, ist, dass dieses Ja ihr ganzes Leben
verändern wird.
[ wird fortgesetzt ]
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