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8. Oktober 2009



Ich weiß schon, warum viele die alten Gedichte "nicht" mögen ... mit der Ausnahme
von Morgenstern und Busch ... das klingt noch einigermaßen modern
und vor allem: es klingt oft humorvoll und positiv.
Oder Theodor Storm oder Rilke ... das sind "schöne" Gedichte.
Bei Ringelnatz ist das schon nicht mehr so ... dessen Worte sind oft "unbequem" ... manche
lieben das heiß und innig und manche können gar nix damit anfangen.

Schöne Gedichte
Gute Gedichte

Es gibt schöne Gedichte, die gut sind.
Es gibt aber auch gute Gedichte, die nicht unbedingt "schön" sind.

Es gibt angenehme Zeilen, die im Ohr kuscheln.
Und es gibt Sätze, die leicht strampelnd den Weg zum Gehirn suchen.


Oft ist in alten Gedichten ein bißchen Wehmut oder Tod oder Leid drin ... diese Poesie
ist trotzdem gut, aber man badet nicht in den Worten ... man duscht eher kalt.

Da überlegt man sich das als Seitengestalter zweimal, ob man so ein Gedicht bringt.
Denn was viele nicht mögen, will sorgfältig geprüft werden, wenn mans trotzdem bringen will.

Da aber Frieden und Freude nicht immer Hunger auf Eierkuchen haben,
kommt heute der Tag, an dem ich heute und hier ein paar Gedichte von

Cäsar Flaischlen

veröffentliche.

Auf die Idee, ein solches Kalenderblatt zu machen,
kam ich durch dieses Gedicht:


Ein Sonntag

So geht ein Sonntag still zu Ende, auf den du lange dich gefreut ...
ein müder Bettler steht am Weg,
am heimatlosen,
und spielt ein Leierkastenlied ...
ein leises Abendrot verweint am Himmel ...
und aus den Gärten her, sommermüd,
kommt's wie ein Duft von heimlich verwelkenden Rosen.


Das ist so ein Gedicht ... es schmilzt auf der Zunge, ist aber bittere Schokolade.

müde
Bettler
heimatlos
verweint
verwelkt

... das sind eben eher melancholische Worte, die ein Seufzen in sich tragen.
Aber es ist schöne Poesie ... ob sie dann auch gefällt,
da kommt es drauf an, ob man das trennen kann ... die Botschaft und die Poesie.

Ob man etwas als schön empfinden kann, wenn es nicht nur positiv in der Aussage ist.

Cäsar Flaischlen ... Ihr kennt den Herrn nicht ?
Vielleicht sagt Euch der Name nichts, aber dieses Gedicht kennt Ihr bestimmt:

 Hab Sonne im Herzen,
ob's stürmt oder schneit,
ob der Himmel voll Wolken,
die Erde voll Streit!
Hab Sonne im Herzen,
dann komme, was mag!
das leuchtet voll Licht dir
den dunkelsten Tag!

Ein Gedicht von Cäsar Flaischlen ... wie alle andere Gedichte im heutigen Kalenderblatt.

Noch ein Gedicht voll Helligkeit:


Glück

Nun ward es Sommer und die Rosen blühn
und blaue Sterne blitzen durch die Nacht ...

und durch die Nacht und ihre blühenden Rosen
und ihre glück-tieffrohe Stille hingehen wir ... zwei selige Kinder ...

und endlos vor uns breitet sich ... in wunderbarer Helle,
von reifendem Korn durchrauscht, die schöne Welt.


Das ist doch einfach nur "wunderbar hell".
Das sind übrigens nicht direkt Gedichte, sondern "Lieder und Tagebuchblätter".
Aber es liegt so viel Poesie drin, dass ich das auch als Gedicht sehe,
zumal viele heutige Gedichte einfach nur Sätze sind, deren Zeilen umgebrochen wurden.


Das hier passt so schön in die Jahreszeit:

Jauchze mein Herz und trinke dich satt
an dieser Tage goldener Sonne,
an dieser Farben köstlicher Freude,
an dieser Ruhe voll schaffender Kraft ...

jauchze, mein Herz,
und trinke dich satt!

Es wird gar bald ein Winter wieder kommen,
müdemachend und arm und alt,
mit spätem Tag und langem Abend ...

ein Winter, da du froh sein wirst,
ein bißchen Sonne von früher zu haben.


Zwischen Sonne und Dunkel
zwischen Jauchzen und alt, arm und müde.
Heiter-melancholische Wortgespinste.

Das war übrigens einer dieser "poetischen Tagebucheinträge" ... der Herr
schrieb seine täglichen Gedanken als Poesie und auch als Reimgedicht auf.

Aber nicht jeder Tag hat zwischen den Wolken Sonnenstrahlen:


Das war nun wieder so ein toter Tag ...
Kopfweh vom frühen Morgen an, verstimmt und müde ...
mit jeder Post verdrießliche Briefe ...

Alles schal und abgestanden,
dumm und taub!
und draußen stickiger Dunst und dumpfer schwüler Regen ...

kein Blitz! keine Kraft!
Alles schlaffe müde bleierne Gleichgültigkeit und Nörgelei!


Nicht gerade positiv ... aber sehr gut nachvollziehbar.
Wer von uns hat nicht solche Tage ?


Die Spinne

Halb gedankenlos überstreue ich eine Spinne mit Sand
und sehe zu, wie sie sich herausarbeitet

und wie sie immer wieder zurück fällt,
weil der leichte Sand unter ihr abrollt ...

Armes Tierchen! ...

›Schicksal?!‹


Kleiner Sadist, was ?
Oder Philosoph ?
Oder einfach nur über Gedankenlosigkeit Gedanken verloren ?

Und wie stehts mit der Liebe ?


Sünde

Wir hatten uns lieb und wir wußten es beide
und der Strand lag still und abendeinsam ...
ein alter Fischer nur war um den Weg und flickte Netze ...

und wir sahen den Schwalben zu,
wie sie hoch am Hang ihre Nester umflogen ...

und saßen am Feldrand und sahen in die Dämmrung
und keines fand mehr, was zu sagen ...

Und immer wundersamer wurden deine Augen
und immer ungeduldiger zerrte der Wind dein blondes Haar auf
und immer sehnsüchtiger ward unser Schweigen ...

und wir hatten uns lieb und wußten alles und wußten,
daß es der letzte Tag für Monate war und vielleicht für immer und ...

daß wir niemand etwas nähmen

und ... wir haben uns ... nicht geküßt!

War das nicht Sünde?
war das nicht ... dumm?
Beides ...


Da kann man sich die Strandszene so richtig vorstellen.
Heute dichtet man so etwas nicht mehr ... heute küsst man sich ... und dann
hat sich ein solches Gedicht auch schon erledigt.

Weiß
Hellgrau
Mittelgrau
Dunkelgrau
Schwarz

Nun haben wir die richtige Farbe für das nächste Gedicht:


Mein Gehirn ist müde

Mein Gehirn ist müde,
Herz und Hand erschlafft,
längst zu Asche glühte
alle Leidenschaft,

Mit versengten Flügeln
irrt ein dunkler Traum
geisterhaften Fluges
durch den öden Raum.

Tief im Nischenwinkel
an erloschenem Herd
kauert stumm ein Weibchen,
uralt, abgezehrt.

Im Getäfel hämmert
heiser eine Uhr,
wie ein hartes, krankes
Husten auf dem Flur.

Durch das blinde Fenster
zuckt ein Nordlichtschein,
und mit hohlem Lachen
grinst der Tod herein.


Auwei ... da hat sich der Lichtstrahl aber ins Nachbarzimmer geflüchtet.
Und doch ... das ist Gedicht ist schön.
Nicht von der Aussage her ... aber schön geschrieben.
Ein ungemütliches Stimmungsbild voll Winter in der Seele.

Das Gegenmittel gegen solche Gedanken ... das hat Herr Flaischlen selbst geschrieben,
denn zum Schluß stehen hier die beiden letzten Verse des "hab Sonne im Herzen"-Gedichtes:


Hab ein Lied auf den Lippen
mit fröhlichem Klang,
und macht auch des Alltags
Gedränge dich bang ...
hab ein Lied auf den Lippen,
dann komme was mag:
das hilft dir verwinden
den einsamsten Tag!

Hab ein Wort auch für andre
in Sorg und in Pein
und sag, was dich selber
so frohgemut läßt sein:
Hab ein Lied auf den Lippen,
verlier nie den Mut,
hab Sonne im Herzen,
und alles wird gut!


Das war heute ein kleiner poetischer Ausflug zum Herrn Flaischlen.



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