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6. Februar 2015

 
Ein Winterabend

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.

Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinert die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.

[ Georg Trakl ]


Hoffnung

Es ist ein Schnee gefallen,
hat alles Graue zugedeckt,
die Bäume nur gen Himmel nicht;
bald trinkt der Schnee das Sonnenlicht,
dann wird das alles blühen,
was unter unsern Bäumen jetzt
kaum Wurzeln streckt.
 
[ Richard Dehmel ]


[ Foto: Xenophora ]


Winternacht

Es war einmal eine Glocke,
die machte baum, baum...
Und es war einmal eine Flocke,
die fiel dazu wie im Traum...

Die fiel dazu wie im Traum...
Die sank so leis hernieder
wie ein Stück Engleingefieder
aus dem silbernen Sternenraum.

Es war einmal eine Glocke,
die machte baum, baum...
Und dazu fiel eine Flocke,
so leise wie im Traum...

So leis als wie ein Traum...
Und als vieltausend gefallen leis,
da war die ganze Erde weiß,
als wie von Engleinflaum.

Da war die ganze Erde weiß,
als wie von Engleinflaum.

[ Christian Morgenstern ]


Ganz still zuweilen wie ein Traum

Ganz still zuweilen wie ein Traum
klingt in dir auf ein fernes Lied.
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
du weißt nicht, was es von dir will.
und wie ein Traum ganz leis und still
verklingt es wieder, wie es kam.

Wie plötzlich mitten im Gewühl
der Straße, mitten oft im Winter
ein Hauch von Rosen dich umweht,
wie oder dann und wann ein Bild
aus längst vergessenen Kindertagen
mit fragenden Augen vor dir steht.

Ganz still und leise, wie ein Traum.
Du weißt nicht, wie es plötzlich kam,
du weißt nicht, was es von dir will,
und wie ein Traum ganz leis und still
verblasst es wieder, wie es kam.

[ Cäsar Flaischlen ]



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