Eine Geschichte von Buck:

Es kommt ganz sicher das Fest, und manchmal auch ganz schön schnell. Wie oft sah ich jene Last Minute Gesichter, in denen lauter Fragezeichen standen? Die meisten aber hatten sich längst ein Bild von dem gemacht, was sie ihren Liebsten zukommen lassen wollten, und dementsprechend vorgesorgt. Wer ein kleines Kind hat überlegt sich, so wie ich Mitte der 90er Jahre, etwas Unvergessliches für beide Seiten. Es sollte eine große Überraschung werden, statt eine teure, sie durfte mit Arbeit verbunden sein, und nach einer ausgefeilten Planung schließlich verwirklicht werden.

Was wir nicht wollten, war etwas Eingewickeltes, das man schnell mit kleinen flinken Fingern auswickeln konnte, und das in Minutenschnelle wieder in die Ecke gefeuert wurde. Dann das zweite Geschenk, das dritte, und die von allen Verwandten. So sollte es nicht sein. Übrig blieb oft ein Haufen Glitzerpapier für den Müll. Meine Gedanken kreisten um einen alten Koffer, Baujahr 1928, der auf dem Dachboden herum lag, und nicht mehr wusste, wofür er eigentlich gebaut wurde. Ich schleppte ihn die Treppe herunter und öffnete ihn mit einem Quietschen.....

Er müffelte mich an, mit der seit den 20er Jahren angehaltenen Luft, und beeindruckte mich mit seinem Innenfutter, der einstigen Herberge einer zahlreichen Mausfamilie. Wir reinigten und säuberten alle Fächer, besprühten ihn mit Sagrotan und polierten ihn sogar mit Schuhcreme. So, die Verpackung hatten wir schon mal. Sie kostete nichts und war doch etwas Besonderes. Als Füllung gedachten wir all jene Geschenke hinein zu tun, die in ihn passten. Das waren die meisten.

Nun ist ein alter Koffer vor einer gefällten Tanne nicht gerade der Brüller im Wohnzimmer. Wieder einmal fasste ich einen Plan, der mir unvermittelt durch den Kopf schoss, und wie immer auch durchgesetzt wurde.....

In den späten Nachmittagsstunden des 24.12.1996 hätte man eine Gestalt auf das Dach eines Hauses krabbeln sehen können, die einen Koffer vor sich her schob. Es war neblig und saukalt, die Dachpfannen rutschig, die Gestalt nicht schwindelfrei. Ein Tau wurde um den Schornstein gelegt, mit dem Griff des Koffers verbunden und langsam abgeseilt, so dass dieses ungewöhnliche Gebilde kurz vor der Dachrinne zum Halt kam. Zum Glück hielten die beiden Verschlüsse. Die Gestalt zog sich für die Nacht vor der Bescherung in wärmere Gemächer zurück und wurde wieder aufgetaut....

Vor dem Baum lagen noch ein paar eingewickelte Geschenke, die allerdings für uns gedacht waren. Sonst war die Lage sehr übersichtlich, und wirkte wie die Szene eines kinderlos gebliebenen Ehepaares. Dafür sollte es aber den gewünschten Knalleffekt geben, wenn das Kind den am Seil abgesenkten Koffer erspähen würde, und was da wohl drin sein mochte???? Ich schlich mich rechtzeitig aus dem Zimmer, das Kind wickelte im unbewachten Moment mein Rasierwasser aus und prüfte den Verschluss auf Essbarkeit. Vor dem Fenster wartete meine Frau auf den 28er Koffer, der sich leider verklemmt hatte. „Schau mal, da kommt gleich was vom Santa, vom Himmel!“ Mein Gott, was erzählt man denn einem Kind, dem zuvor das Rasierwasser entrissen wurde, und das an einem nebligen Tag aus dem Fenster sehen soll, vor dem sich nichts tut...Das Geräusch, als der Koffer fiel, ging in der Ereignislosigkeit unter.

Nun, wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen, sammelte ich die verstreuten Geschenke rings um den Koffer wieder ein und stand schließlich wie ein verschwitzter Versicherungsvertreter vor Frau und Kind. Einen traurigeren Anblick mag es nur in früheren Kriegstagen gegeben haben.

Die Idee mit dem Koffer wurde in allen Folgejahren nicht weiter entwickelt, dafür gab es wieder Papier. Immer nur Papier.

 
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