Home

Februar  10
 

Interview mit Edgar Müller


Hat ja schon Tradition, dass es hier immer wieder Interviews gibt.
Unser heutiges führt uns nach Deutschland auf den Asphalt.
Der aber nicht mehr grau ist, wenn Edgar Müller, mein Interviewpartner, da war.

Denn Edgar ist Straßenmaler ...



... und ich habe ihm ein paar Fragen gestellt.

Man ist ja doch neugierig, wann warum wie wo womit usw. jemand Straßen und Plätze bemalt.

Vielen Dank, Edgar, dass Du mir meine vielen neugierigen Fragen beantwortet hast :)).

Los geht's:


1. Du bist ein Maler ?

Mit Leib und Seele, ja!

2. Würdest Du das mit der normalen Malerei vergleichen, nur eben ohne Staffelei, sondern auf dem Boden ?

Straßenmalerei ist normale Malerei - vorausgesetzt, du definierst mit 'Malerei' den Prozess der Entstehung eines Bildes und nicht das fertige Werk.

3. Wie viele Bilder hast Du schon auf Straßen und Plätze gemalt ?

Frag mich nicht. Ich weiß es nicht mehr. Ehrlich!

4. Was ist Dein schönstes Bild (bitte Bildlink mit dazu geben) ?

Ich formuliere die Frage mal um, weil das schönstes Bild mein Publikum zu wählen hätte.

Was ist Dein Lieblingsbild?

Das variiert je nach der Stimmung, der ich gerade unterliege. Jetzt im Moment kann ich mich an einem
Wahnsinnswerk des russischen Malers Ilja Repin - "Nikolaus rettet drei Unschuldige vor der Hinrichtung" - nicht sattsehen-malen.

5. Wie ist die Reaktion der Menschen ?

"Mama, warum malt der da?"
"Ich möchte Sie nicht bei der Arbeit stören, aber ich habe ein paar Fragen"
"Äh du, was kostet dein Bild?"
"Kann ich auch!"
"Warum malen Sie nicht richtig und verdienen viel Geld damit?
"Das ist ja wie in echt!"
"Ich habe ein Garagentor, das angemalt werden könnte."
"Malen Sie auch Köpfe?"
"Das is ja voll krass!"

Die Palette der Reaktionen ist unendlich.

6. Wie hoch ist die Bereitschaft der Menschen, dafür etwas Geld hinzulegen ?

Das liegt an der jeweiligen Situation, abhängig von Ort, Zeitpunkt, Publikum, Fluktuation, Motivwahl und meinem persönlichen Befinden.

7. Kann man davon leben ? Bist Du "hauptberuflich" Straßenmaler ?

Wenn man gerade genannten Faktoren berücksichtigt, kann man durchaus von der Straßenmalerei leben und auch eine Steuernummer am Hals tragen.

8. Welches Bild würdest Du gerne malen ?

Ein Bild, bei dem ich der einzige Betrachter bin.

9. Wer sind für Dich die "Könige" der Straßenmalerei ?

Alle, die mit ihrer Straßenmalerei den Schritt in die Öffentlichkeit wagen und den Kollegen gegenüber fair bleiben.

10. Ist Straßenmalerei Männerdomäne ?

Die bessere Hälfte der Menschheit ist gut vertreten bei den Straßenmalern. Die letzten Jahre in Geldern - dort findet jährlich der international bedeutende Wettbewerb der Straßenmaler statt - haben fast nur Frauen die ersten Plätze belegt.

11. Was ist, wenn es regnet?

Einen kurzen Schauer versuche ich mit Plastikplane abzuwehren, wenn das Bild nicht zu groß ist. Bei länger andauerndem Regen kann ich nur aufgeben und die Sachen packen. Mal ehrlich? Wer schaut einem Straßenmaler im Regen zu?

12. Kann es passieren, dass irgendwelche Ordnungshüter das Straßenmalen unterbinden wollen ?

Das kommt darauf an, wo man malt. In München oder Venedig z.B. gebe ich dir ohne Genehmigung eine Viertelstunde und die Polizei steht neben dir.

Beim ersten Mal ohne Erlaubnis passiert dir nichts. Köln oder Berlin sind da schon toleranter gegenüber den Straßenmalern.

13. Stell Dir vor ein Passant kommt vorbei und sagt "mal mir ein Bild von der Toskana, ich liebe diese Landschaft" ... ginge das ? Oder arbeitest Du immer nach Vorlage ?

Wenn derjenige mir auch die Reise zur Toskana finanziert, können wir darüber reden...;o)

14. Was und wo hast Du zuletzt gemalt ?

Ich war mit meinem Freund und Kollegen - Manfred Stader - in Frankfurt auf der B-Ebene.
Dort habe ich das Bild von Ilja Repin - "Nikolaus rettet drei Unschuldige vor der Hinrichtung" - mit Kreide auf Leinwand gemalt.

15. Wann, wo und was wirst Du als nächstes Malen ?

Keine Ahnung. Jetzt kommen erstmal ein paar Engagements und dann steht eine Deckenbemalung in einem Altenheim südlich von Köln an.

Sobald das Wetter wieder besser wird, gehe ich auch wieder "auf eigene Faust" malen. Das werde ich dann aber auf meiner Homepage ankündigen

16. Malst du auch auf Leinwand ?

Du meinst normale Bilder? Ja, aber in letzter Zeit eher selten.
Ich fange auch gerade erst wieder an zu zeichnen. Ist eine lange Zeit auf der Strecke geblieben.
Hatte schon fast vergessen, wie viel Spaß das macht.

17. Wie bist Du eigentlich auf die Idee gekommen, auf der Straße zu malen ?

In Geldern findet seit 25 Jahren am letzten Wochenende der nordrheinwestfälischen Sommerferien der
Wettbewerb der Straßenmaler statt. Tja, ich war in Geldern auf dem Gymnasium.

18. wann hast Du Dein erstes Bild gemalt ?

Mein erstes Straßenbild war mit 16 Jahren auf dem Festival in Geldern.

19. hast Du Vorbilder ?

Gutes Wort in dem Zusammenhang. Ich habe keine Vorbilder.

20. ist es nicht schade, wenn der Zahn der Zeit das Bild so langsam löscht ?

Für mich geht es um das Malen hier und jetzt. Ist ein Bild einmal fertig, verliert es den Reiz, den es für mich hatte.

21. wie hast Du überhaupt erkannt, dass Du die Begabung zur Malerei hast ? Ist doch eine Begabung, oder ?

Ich male, seitdem ich einen Pinsel halten kann. Ich habe immer in unserer Küche gesessen und gemalt, was mir gerade in den Sinn kam.
Später, bei der Frage nach dem Studium war dann klar, dass ich was mit Pinseln machen wollte.

22. sind schon mal Passanten vorbei gekommen, die gefragt haben, ob Du nicht ihre Garageneinfahrt oä. bemalst ? Wenn ja, kann man diese Bodengemälde denn versiegeln ?

Das ist vorgekommen. Allerdings ist es unmöglich, Straßenmalerei auf Dauer haltbar zu machen.
Höchstens ein paar Wochen kann man raushauen.

23. sind die Farben umweltfreundlich ?

Allesamt! Ich stelle die meisten Kreiden selber her. Das Rezept dazu findest du hier.

24. Was möchtest Du meinen Lesern noch sagen ?

Ein Freund von mir - ehemaliger Straßenmaler - hat, wie ich finde, das Wesen der Straßenmalerei sehr schön beschrieben. Es handelt sich um eine Rede zur Eröffnung einer Ausstellung von mir, also komme ich ganz gut weg dabei...;o)


Ausstellung Stadtarchiv-Straelen - Eröffnungsansprache von Markus Westendorf

Alle Kunst strebt nach dem Zustand der Musik behauptete einmal ein französischer Kunstphilosoph und reagierte damit auf das Phänomen eines sich auflösenden Kunstbegriffs.

Performance, Installationen, interaktive Ensembles, Envirementals, Happenings und Videoinstallationen bestimmen seit Jahren die aktuellen Kunstströmungen. Die Malerei ist tot, zuviel geschwiegen. Offene Kunstformen versuchen interaktiv zu wirken, versperren sich oftmals selbst den Weg durch Irritation, lärmende Verstörung und versnobten Galeriebetrieb. Dennoch ist auch diese Kunst ausgestattet mit der Sehnsucht nach Kommunikation, unmittelbar verständlich zu werden, zu emotionalisieren, so unmittelbar wie Musik, so emotional verstanden zu werden, wie Musik, so mitreißend, einnehmend, Erinnerungen hervorrufend. Das Spektrum der Möglichkeiten ist groß.

So einfach und direkt wie die Musik ist die Straßenmalerei von Edgar Müller. Straßenmalerei funktioniert augenscheinlich einfach. Einfach für den Betrachter. Alles ist direkt. Das Bild liegt dem Betrachter unmittelbar vor den Füßen. Es ist direkt zu dekodieren. Fast immer zeigt es gegenständliche oder figurale Sujets, manchmal sind vertraute Motive zu erkennen. Erzählende Motive sprechen besonders an. Weist das Bild einen dramatischen Effekt als zentrales Bildmotiv auf, ist es besonders geeignet.

Zeit, die ikonographischen Feinheiten zu entschlüsseln, nimmt sich der Passant ebenso wenig, wie der kunstbeflissene Galerie-Besucher. Selbst einfache Symbole und Attribute sind nicht mehr Allgemeingut. Allegorische Darstellungen belässt der Passant auf der Ebene des Sichtbaren.

Vordergründig ist die Straßenmalerei, einfach für den Betrachter, so einfach zu erleben, wie Musik und so vergänglich, wie der Klang von Musik. Nach 1-2 Tagen ist ein auf den Asphalt gemaltes Bild fast verschwunden, unanschaulich, heruntergetreten, verwittert, wie ein jahrhunderte altes Fresco, verbleicht durch einen rapide beschleunigten Verwitterungsprozess.

Schade um das schöne Bild. Wenn Straßenmalerei von solchem Anspruch auf dem Pflaster der Vergänglichkeit preisgegeben wird, dann ist das auch verstörend, Straßenmalerei ist plötzlich schwierig für den Betrachter. Straßenmalerei ist unglaublich schwierig für den Aufführenden.

Schwierig, ein Motiv zu finden, dass sowohl den Ansprüchen des Malers, als auch denen des Publikums genügt.
Schwierig, in diesen Breitengraden eine regenfreie Periode zu erwischen, einen stark frequentierten Platz ausreichender Größe und passabler Asphaltqualität zu finden.
Schwierig, sich dem Zugriff übereifriger Ordnungshüter und schwarzer Sheriffs zu entziehen. Ordnungsamtliche Verordnungen versuchen den malwütigen ebenso von seinem Tun abzubringen, wie zeternde Geschäftsanlieger, die immer noch nicht begriffen haben, dass sie so der sterbenden Innenstadt gänzlich den Garaus machen.
Schwierig auch Kinderwagen, Scater und Ignoranten in ihrem zerstörerischen Lauf zu bremsen.

Dieses ambitionierte Tun wirft Fragen bei dem Betrachter auf.
"Warum macht der das?" "Was ist, wenn's regnet?" "Kann man davon leben?" "Sie können das doch auf Leinwand malen und verkaufen."

Der Betrachter versucht sich aus der Irritation in eine geschützte Welt zurückzuziehen. Hier passiert etwas, dass im sonstigen Kontext einer Stadt nicht vorgesehn ist. Hier ist ein Mensch, der auf hohem Niveau etwas schafft, ohne Auftrag, ohne erkennbare Bezahlung. Motiviert von einer fremden, ihm selber innewohnenden Antriebskraft, jenseits des Strebens nach einem bequemen Job mit dem Arsch im Trockenen. Was ist da los? Gar nichts ist einfach. Warum geht einer mit solchem Talent auf die Strasse? Hier geht einer einer selten geworden Tätigkeit nach. Der Beruf des Plakate- Schilder- Film- und Dekorationsmalers ist nahezu ausgestorben. Monumentale Straßentransparente werden von Printern geplottet, einem allen Individualisierungen trotzenden Corporate Design untergeordnet. New York, Rio, Tokio, kontrollierbare Standards lassen keine Platz für Begriffe, wie persönlicher Stil, individueller Duktus und private Auffassung. Selbst Fassaden und Brandmauern können mittlerweile von Tinte spritzenden Robotern erklommen werden. Die Malerei ist tot. Zu lange hat sie den Stümpern das Feld überlassen.

Einmal habe ich erlebt, wie Edgar eine fulminante Kopie eines bewegenden Bildes von Ilja Repin beendete. Nachdem er seine Signatur unter das vergängliche Werk setzte, brach spontaner Applaus unter dem staunenden, abendlichen Publikum aus.

Damit scheint sich für mich die Prophezeiung des französischen Kunstphilosophen zu erfüllen. So wie ein Konzertmeister, der eine Symphonie nach einem Finale Furioso in Stille erstarren lässt, und von einem Applaus, der den letzten Hauch vom Klang vertreibt, aus den tiefen der Stille herausgeholt wird. Ebenso schwebt der unfassbare Klang eines Straßenbildes von Edgar Müller noch nach Tagen, wie ein leichtes Surren über der Stadt.

Alle Kunst strebt nach dem Zustand der Musik.


--

Meine Tageslinks sind natürlich die beiden Seiten von Edgar:

http://www.strassenmaler-info.de
http://www.strassenmalerei.com

--



--

Update auf Seelenfarben: es gibt neue Desktopmotive

--

Wunderkiste



Lichtblick

--

Desktopmotiv des Tages:

Küstenlandschaft, surrealistisch verfremdet, als wenn es ein anderer Planet wäre ...



(Auflösung 1024x768 - wenn das Motiv gefällt, bitte auf das Vorschaubild klicken)

--

zurück zur Kalenderblatt-Hauptseite

Kalenderblatt-Archiv