Hat ja schon Tradition, dass es hier immer wieder Interviews gibt.
Unser heutiges führt uns nach Deutschland auf den Asphalt.
Der aber nicht mehr grau ist, wenn Edgar Müller, mein Interviewpartner, da
war.
Denn Edgar ist Straßenmaler ...
... und ich habe ihm ein paar Fragen gestellt.
Man ist ja doch neugierig, wann warum wie wo womit usw. jemand Straßen und
Plätze bemalt.
Vielen Dank, Edgar, dass Du mir meine vielen neugierigen Fragen beantwortet
hast :)).
Los geht's:
1. Du bist ein Maler ?
Mit Leib und Seele, ja!
2. Würdest Du das mit der normalen Malerei vergleichen, nur eben ohne
Staffelei, sondern auf dem Boden ?
Straßenmalerei ist normale Malerei - vorausgesetzt, du definierst mit
'Malerei' den Prozess der Entstehung eines Bildes und nicht das fertige
Werk.
3. Wie viele Bilder hast Du schon auf Straßen und Plätze gemalt ?
Frag mich nicht. Ich weiß es nicht mehr. Ehrlich!
4. Was ist Dein schönstes Bild (bitte Bildlink mit dazu geben) ?
Ich formuliere die Frage mal um, weil das schönstes Bild mein Publikum zu
wählen hätte.
Was ist Dein Lieblingsbild?
Das variiert je nach der Stimmung, der ich gerade unterliege. Jetzt im
Moment kann ich mich an einem
Wahnsinnswerk des russischen Malers Ilja Repin - "Nikolaus
rettet drei Unschuldige vor der Hinrichtung" - nicht sattsehen-malen.
5. Wie ist die Reaktion der Menschen ?
"Mama, warum malt der da?"
"Ich möchte Sie nicht bei der Arbeit stören, aber ich habe ein paar Fragen"
"Äh du, was kostet dein Bild?"
"Kann ich auch!"
"Warum malen Sie nicht richtig und verdienen viel Geld damit?
"Das ist ja wie in echt!"
"Ich habe ein Garagentor, das angemalt werden könnte."
"Malen Sie auch Köpfe?"
"Das is ja voll krass!"
Die Palette der Reaktionen ist unendlich.
6. Wie hoch ist die Bereitschaft der Menschen, dafür etwas Geld hinzulegen ?
Das liegt an der jeweiligen Situation, abhängig von Ort, Zeitpunkt,
Publikum, Fluktuation, Motivwahl und meinem persönlichen Befinden.
7. Kann man davon leben ? Bist Du "hauptberuflich" Straßenmaler ?
Wenn man gerade genannten Faktoren berücksichtigt, kann man durchaus von der
Straßenmalerei leben und auch eine Steuernummer am Hals tragen.
8. Welches Bild würdest Du gerne malen ?
Ein Bild, bei dem ich der einzige Betrachter bin.
9. Wer sind für Dich die "Könige" der Straßenmalerei ?
Alle, die mit ihrer Straßenmalerei den Schritt in die Öffentlichkeit wagen
und den Kollegen gegenüber fair bleiben.
10. Ist Straßenmalerei Männerdomäne ?
Die bessere Hälfte der Menschheit ist gut vertreten bei den Straßenmalern.
Die letzten Jahre in Geldern - dort findet jährlich der international
bedeutende Wettbewerb der Straßenmaler statt -
haben fast nur Frauen die ersten Plätze belegt.
11. Was ist, wenn es regnet?
Einen kurzen Schauer versuche ich mit Plastikplane abzuwehren, wenn das Bild
nicht zu groß ist. Bei länger
andauerndem Regen kann ich nur aufgeben und die Sachen packen. Mal ehrlich?
Wer schaut einem Straßenmaler im Regen zu?
12. Kann es passieren, dass irgendwelche Ordnungshüter das Straßenmalen
unterbinden wollen ?
Das kommt darauf an, wo man malt. In München oder Venedig z.B. gebe ich dir
ohne Genehmigung eine Viertelstunde und die Polizei steht neben dir.
Beim ersten Mal ohne Erlaubnis passiert dir nichts. Köln oder Berlin sind da
schon toleranter gegenüber den Straßenmalern.
13. Stell Dir vor ein Passant kommt vorbei und sagt "mal mir ein Bild von
der Toskana, ich liebe diese Landschaft" ... ginge das ? Oder arbeitest Du
immer nach Vorlage ?
Wenn derjenige mir auch die Reise zur Toskana finanziert, können wir darüber
reden...;o)
14. Was und wo hast Du zuletzt gemalt ?
Ich war mit meinem Freund und Kollegen -
Manfred Stader - in Frankfurt auf
der B-Ebene.
Dort habe ich das Bild von Ilja Repin - "Nikolaus rettet drei Unschuldige
vor der Hinrichtung" - mit Kreide auf Leinwand gemalt.
15. Wann, wo und was wirst Du als nächstes Malen ?
Keine Ahnung. Jetzt kommen erstmal ein paar Engagements und dann steht eine
Deckenbemalung in einem Altenheim südlich von Köln an.
Sobald das Wetter wieder besser wird, gehe ich auch wieder "auf eigene
Faust" malen. Das werde ich dann aber auf meiner Homepage ankündigen
16. Malst du auch auf Leinwand ?
Du meinst normale Bilder? Ja, aber in letzter Zeit eher selten.
Ich fange auch gerade erst wieder an zu zeichnen. Ist eine lange Zeit auf
der Strecke geblieben.
Hatte schon fast vergessen, wie viel Spaß das macht.
17. Wie bist Du eigentlich auf die Idee gekommen, auf der Straße zu malen ?
In Geldern findet seit 25 Jahren am letzten Wochenende der
nordrheinwestfälischen Sommerferien der
Wettbewerb der Straßenmaler statt. Tja, ich war in Geldern auf dem
Gymnasium.
18. wann hast Du Dein erstes Bild gemalt ?
Mein erstes Straßenbild war mit 16 Jahren auf dem Festival in Geldern.
19. hast Du Vorbilder ?
Gutes Wort in dem Zusammenhang. Ich habe keine Vorbilder.
20. ist es nicht schade, wenn der Zahn der Zeit das Bild so langsam löscht ?
Für mich geht es um das Malen hier und jetzt. Ist ein Bild einmal fertig,
verliert es den Reiz, den es für mich hatte.
21. wie hast Du überhaupt erkannt, dass Du die Begabung zur Malerei hast ?
Ist doch eine Begabung, oder ?
Ich male, seitdem ich einen Pinsel halten kann. Ich habe immer in unserer
Küche gesessen und gemalt, was mir gerade in den Sinn kam.
Später, bei der Frage nach dem Studium war dann klar, dass ich was mit
Pinseln machen wollte.
22. sind schon mal Passanten vorbei gekommen, die gefragt haben, ob Du nicht
ihre Garageneinfahrt oä. bemalst ? Wenn ja, kann man diese Bodengemälde denn
versiegeln ?
Das ist vorgekommen. Allerdings ist es unmöglich, Straßenmalerei auf Dauer
haltbar zu machen.
Höchstens ein paar Wochen kann man raushauen.
23. sind die Farben umweltfreundlich ?
Allesamt! Ich stelle die meisten Kreiden selber her. Das Rezept dazu findest
du hier.
24. Was möchtest Du meinen Lesern noch sagen ?
Ein Freund von mir - ehemaliger Straßenmaler - hat, wie ich finde, das Wesen
der Straßenmalerei sehr schön beschrieben.
Es handelt sich um eine Rede zur Eröffnung einer Ausstellung von mir, also
komme ich ganz gut weg dabei...;o)
Ausstellung Stadtarchiv-Straelen -
Eröffnungsansprache von Markus Westendorf
Alle Kunst strebt nach dem Zustand der Musik behauptete einmal ein
französischer Kunstphilosoph und reagierte damit auf das Phänomen eines sich
auflösenden Kunstbegriffs.
Performance, Installationen, interaktive Ensembles, Envirementals,
Happenings und Videoinstallationen bestimmen seit Jahren die aktuellen
Kunstströmungen. Die Malerei ist tot, zuviel geschwiegen. Offene Kunstformen
versuchen interaktiv zu wirken, versperren sich oftmals selbst den Weg durch
Irritation, lärmende Verstörung und versnobten Galeriebetrieb. Dennoch ist
auch diese Kunst ausgestattet mit der Sehnsucht nach Kommunikation,
unmittelbar verständlich zu werden, zu emotionalisieren, so unmittelbar wie
Musik, so emotional verstanden zu werden, wie Musik, so mitreißend,
einnehmend, Erinnerungen hervorrufend. Das Spektrum der Möglichkeiten ist
groß.
So einfach und direkt wie die Musik ist die Straßenmalerei von Edgar Müller.
Straßenmalerei funktioniert augenscheinlich einfach. Einfach für den
Betrachter. Alles ist direkt. Das Bild liegt dem Betrachter unmittelbar vor
den Füßen. Es ist direkt zu dekodieren. Fast immer zeigt es gegenständliche
oder figurale Sujets, manchmal sind vertraute Motive zu erkennen. Erzählende
Motive sprechen besonders an. Weist das Bild einen dramatischen Effekt als
zentrales Bildmotiv auf, ist es besonders geeignet.
Zeit, die
ikonographischen Feinheiten zu entschlüsseln, nimmt sich der Passant ebenso
wenig, wie der kunstbeflissene Galerie-Besucher. Selbst einfache Symbole und
Attribute sind nicht mehr Allgemeingut. Allegorische Darstellungen belässt
der Passant auf der Ebene des Sichtbaren.
Vordergründig ist die Straßenmalerei, einfach für den Betrachter, so einfach
zu erleben, wie Musik und so vergänglich, wie der Klang von Musik. Nach 1-2
Tagen ist ein auf den Asphalt gemaltes Bild fast verschwunden,
unanschaulich, heruntergetreten, verwittert, wie ein jahrhunderte altes
Fresco, verbleicht durch einen rapide beschleunigten Verwitterungsprozess.
Schade um das schöne Bild. Wenn Straßenmalerei von solchem Anspruch auf dem
Pflaster der Vergänglichkeit preisgegeben wird, dann ist das auch
verstörend, Straßenmalerei ist plötzlich schwierig für den Betrachter.
Straßenmalerei ist unglaublich schwierig für den Aufführenden.
Schwierig,
ein Motiv zu finden, dass sowohl den Ansprüchen des Malers, als auch denen
des Publikums genügt.
Schwierig, in diesen Breitengraden eine regenfreie
Periode zu erwischen, einen stark frequentierten Platz ausreichender Größe
und passabler Asphaltqualität zu finden.
Schwierig, sich dem Zugriff
übereifriger Ordnungshüter und schwarzer Sheriffs zu entziehen.
Ordnungsamtliche Verordnungen versuchen den malwütigen ebenso von seinem Tun
abzubringen, wie zeternde Geschäftsanlieger, die immer noch nicht begriffen
haben, dass sie so der sterbenden Innenstadt gänzlich den Garaus machen.
Schwierig auch Kinderwagen, Scater und Ignoranten in ihrem zerstörerischen
Lauf zu bremsen.
Dieses ambitionierte Tun wirft Fragen bei dem Betrachter auf.
"Warum macht der das?" "Was ist, wenn's regnet?" "Kann man davon leben?"
"Sie können das doch auf Leinwand malen und verkaufen."
Der Betrachter
versucht sich aus der Irritation in eine geschützte Welt zurückzuziehen.
Hier passiert etwas, dass im sonstigen Kontext einer Stadt nicht vorgesehn
ist. Hier ist ein Mensch, der auf hohem Niveau etwas schafft, ohne Auftrag,
ohne erkennbare Bezahlung. Motiviert von einer fremden, ihm selber
innewohnenden Antriebskraft, jenseits des Strebens nach einem bequemen Job
mit dem Arsch im Trockenen. Was ist da los? Gar nichts ist einfach. Warum
geht einer mit solchem Talent auf die Strasse? Hier geht einer einer
selten geworden Tätigkeit nach. Der Beruf des Plakate- Schilder- Film- und
Dekorationsmalers ist nahezu ausgestorben. Monumentale Straßentransparente
werden von Printern geplottet, einem allen Individualisierungen trotzenden
Corporate Design untergeordnet. New York, Rio, Tokio, kontrollierbare
Standards lassen keine Platz für Begriffe, wie persönlicher Stil,
individueller Duktus und private Auffassung. Selbst Fassaden und Brandmauern
können mittlerweile von Tinte spritzenden Robotern erklommen werden.
Die Malerei ist tot. Zu lange hat sie den Stümpern das Feld überlassen.
Einmal habe ich erlebt, wie Edgar eine fulminante Kopie eines bewegenden
Bildes von Ilja Repin beendete. Nachdem er seine Signatur unter das
vergängliche Werk setzte, brach spontaner Applaus unter dem staunenden,
abendlichen Publikum aus.
Damit scheint sich für mich die Prophezeiung des
französischen Kunstphilosophen zu erfüllen. So wie ein Konzertmeister, der
eine Symphonie nach einem Finale Furioso in Stille erstarren lässt, und von
einem Applaus, der den letzten Hauch vom Klang vertreibt, aus den tiefen der
Stille herausgeholt wird. Ebenso schwebt der unfassbare Klang eines
Straßenbildes von Edgar Müller noch nach Tagen, wie ein leichtes Surren über
der Stadt.
Alle Kunst strebt nach dem Zustand der Musik.
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Meine Tageslinks sind natürlich die beiden Seiten von Edgar: