Bewegende Rückblicke auf vergangene Jahre, schwierige Organisation des heutigen Festes.
Wieder viel interessanter Lesestoff, danke dafür, Martina :)).
 
 

Hallo, ich bin die Martina, 48 Jahre alt,
wohne in Thüringen und lebe
"getrennt zusammen" (living apart together).


Erinnerungen

So eine Adventsblattgeschichte ist gar nicht so einfach. Wenn der Kalender geöffnet wird, hat ja bestimmt jeder so seine eigenen Vorstellungen, was da kommen sollte – heiter, besinnlich, dramatisch, spannend, bunt, lustig, schräg usw ... also, mal sehen, wie es mir gelingt.

Erst mal zu den Bildern. Das war der härteste Teil und mir ist bewusst geworden, dass es Zeiten in meinem Leben gibt, in denen nicht fotografiert wurde. Das lag wohl zum größten Teil daran, dass viele Dinge in der DDR recht beschwerlich waren, so z.B. das Entwickeln von Filmen, insbesondere von Farbfilmen. Die Bilder sah man erst, wenn das fotografierte Ereignis schon fast Geschichte war…

Etwas zu eigenen Weihnachtserlebnissen schreiben ist wiederum eine ganz andere Angelegenheit.

Aus der Perspektive betrachtet, jetzt mit 48 Jahren, sehe ich viele Dinge in einem ganz anderen Licht. Ich habe es nun endlich wohl gelernt, Dinge zu relativieren und nicht alles als Drama aufzubauen. Mit meiner Neigung zur Dramatik habe ich mir viele schöne Feste selbst etwas zerstört.

Heute sind in meiner Erinnerung die Weihnachtsfeste meiner Kindheit die schönsten, gleich gefolgt von den Weihnachtsfesten, wo mein Sohn klein war. Das war alles so schön und richtig weihnachtlich mit allem Zauber, den man sich vorstellen kann. Unbeschreibliche Vorfreude, wahnsinnige Aufregung vor der Bescherung. Es war einfach dieses ganz tolle Gefühl, genauso, wie man eben nur zu Weihnachten fühlt.

Auch die Feiertage waren wunderschön, ohne Abstriche. Was hatte ich als Kind Zeit zum lesen, quasi unter dem Weihnachtsbaum. Wie schön haben wir alle in der Familie gespielt. Ganze Abende.

Es war wirklich so schön, ich zeichne keine rosa Erinnerungen. Ich bin mit dem Privileg einer glücklichen Kindheit aufgewachsen in einer intakten Familie und ich hatte sehr lange daran wirklich zu knabbern, bis ich begriffen habe, dass nicht jede Familie für immer intakt sein muss und dass es ziemlich hässliche Probleme geben kann.

Heute ist es nun:

Der Tanz auf zwei Hochzeiten

Ehe ich davon erzähle ein paar Worte zu mir.

Gerade die letzte Aussage führt unter anderem dazu, dass ich Weihnachten zwei "Parties" bestreite.

Die Ursache ist sehr einfach. Ich bereite ein Familienweihnachtsfest mit meinen Eltern und meinem Sohn vor, d.h. also Heiligabend/Spätnachmittag bei meiner Familie, dann ab in den nächsten Zug, bald Fahrt nur mit Auto möglich, zum Schätzchen, das auch auf mich wartet, zweite Runde der Bescherung.

Dann am nächsten Tag früh in den Zug/Bus oder wie auch immer, Essen für die Familie vorbereiten, gegen 13.00/14.00 wieder zurück in das andere Leben.

Warum ich mir das antue? Es funktioniert nur so.

Ein Zusammenbringen beider Parteien ist nicht mehr möglich. Meine Eltern sind schon älter und beide krank. Meine Mutter hat Leukämie mit allen Begleiterscheinungen, mein Vater hatte einen Schlaganfall und mein Liebster ist nicht unbedingt ein Familienmensch, jedenfalls hätte er nicht viel Ausdauer, raucht auch, wäre also auch immer unter Druck.

Da ich es allen an diesem Tag recht machen möchte, organisiere ich mir eben diesen Stress. Ich möchte manchmal mehr Ruhe, aber irgendwann stellt diese sich von allein ein und schon, wenn ich daran denke, will ich die Ruhe gar nicht mehr, wäre sie doch immer mit Verlust verbunden.

Mein Sohn ist mir bei all diesen Umständen eine Hilfe, weil er den Balanceakt mit trägt und ich bin ihm dafür dankbar.

--

1962:


1995

 

- was ist für Dich "Weihnachten" ?
Absolut das Fest der Liebe, aber auch des Stresses und der unendlichen Müdigkeit.
- dekorierst Du bereits ab dem 1. Advent die Wohnung ?
Das hängt von vielen Umständen ab, hauptsächlich von Zeit und Lust. Irgendetwas mache ich irgendwie immer. Wenigstens eine Kerze und Glücksengel aktivieren. 
- Weihnachtsbaum ja oder nein, und wenn ja, wie sieht er dann aus ?

Früher ja. Heute ist meine Wohnung zu klein. Wenn ich mal Enkel habe, werde ich für sie den ganzen schönen Weihnachtszauber entfachen, egal wie klein die Wohnung ist.

- schenkst Du und wirst Du beschenkt ?
Ja, und wirklich alles mit Liebe.
- dein schönstes je erhaltenes Weihnachtsgeschenk ?
Gibt es nicht. Ich liebe meine Geschenke immer. Ich finde es auch nicht langweilig oder phantasielos, Weihnachten immer wieder ein Parfüm zu bekommen. Ich liebe es!
- gibt es ein typisches Weihnachtsessen bei Euch ?
Am 1. Feiertag (Heiligabend bescheidenes Essen)
Familie: Ente, Gans
Freund: Sauerbraten, Schnitzel
- feierst Du alleine oder im Kreis der Familie ?
Ich habe alles im Moment, s. o..
- welche Weihnachtsbräuche gibt es bei Euch ?
Zu hause haben wir immer gesungen, ich habe ein Gedicht aufgesagt, mein Sohn später auch.

Heute hören wir Musik. Bei meinen Eltern die alten, traditionellen, schönen Weihnachtslieder, bei meinem Freund amerikanische Weihnachtslieder.
- gehst Du an Weihnachten in die Kirche ?
Nein. Ich bin leider nicht getauft und mich heute noch taufen zu lassen … ich weiß, man könnte auch so in die Kirche gehen. Aber irgendwie finde ich, dass es mir als Atheistin nicht zusteht. Ich feiere ja schon Weihnachten.
- ist Weihnachten bei Euch ein friedliches Fest (ohne Stress und Streit) ?
Ja, immer wieder ja. Ich kann mich an kein Fest erinnern, wo es Streit gab. Ich hatte mal Liebeskummer oder anderen Kummer, aber das war immer nur in mir begründet.
- Weihnachten und Schnee ?

Genau da und nur da sollte Schnee fallen. Wegen der romantischen Außendekoration ;)).

- bist Du schon mal über das Weihnachtsfest im Urlaub gewesen ?
Heiligabend war ich immer bei meiner Familie und ich werde das nie anders machen, soweit das in meiner Hand liegt, d.h. ich werde z.B. nie meinen Sohn zwingen, wenn er mal eine Familie hat, Weihnachten mit Mama und Freund zu feiern. Wäre aber schön!!!
- an wen oder was denkst Du an Weihnachten ?
An alle, die ich lieb habe und an all meine Freunde.

Woran ist schon schwieriger. Da gibt es den Sachbereich – Nahrungszubereitung, Tischdekoration usw., wann welche Züge, Busse fahren. Falls Platz/Zeit für ideelle Dinge bleibt, denke ich vielleicht an ein schönes Buch, was ich lesen könnte oder an irgendwelche Entspannung…
- Dein Lieblingsweihnachtslied ?
"Oh du Fröhliche", auch "Stille Nacht, Heilige Nacht".
- wie läuft die Bescherung ab ?
Das kommt auf die Ungeduld des Buben an: ich schmücke den Baum am Nachmittag, da werden alle außer Haus geschickt.

Wenn es dunkel ist, werden die Kerzen entzündet, das Glöckchen läutet und alle kommen zur Bescherung. Erst singen wir ein Lied, dann gibt’s die Geschenke.
- Weihnachten und Konsumindustrie ?
Ich hasse es, wenn mich ab September oder so Nikoläuse angrinsen, zurzeit bersten die Regale von dem ganzen Weihnachtskram. Ich finde, Weihnachten hat viel von seinem Zauber verloren u. a. durch den Konsumrausch.
- Weihnachten vor 5, 10, 20 etc. Jahren ?
vor 40 Jahren:

Weihnachten schon in Weimar, wir haben vorher in Eisenach gelebt. Familie besteht bei mir aus meinen Eltern, meiner Oma und meinem Onkel. Wir haben immer so zusammen gelebt.

Diese für manche Leser vielleicht eigenartige Familienzusammensetzung hat sich durch Krieg und Flucht so ergeben und ich bin da hineingewachsen und ich denke, es war für mich gut.

Wir haben eine große Wohnung mit großem Baum, der immer in Form gebracht werden muss, z.B. müssen Zweige versetzt werden usw. Der Baum ist immer silbern geschmückt.

Am 1. Feiertag schleiche ich mich vor dem Aufstehen ins Wohnzimmer und spiele mit meinen Geschenken. Das Bademantelbild könnte aus der Zeit sein. Es gibt immer selbstgebackene Plätzchen und Naschen ohne Ende.


vor 30 Jahren:

Weihnachten in Weimar mit kompletter Familie. Ich bin Studentin in Jena, Englisch und Russisch mit dem Ziel Diplomlehrerin zu werden.

Um Weihnachten herum teile ich meinen Eltern unter Tränen mit, dass ich mich exmatrikulieren lassen möchte, da ich in Russisch auf 5 stehe und meine Dozentin ihr persönliches Ziel darin sieht, mir ständig nachzuweisen, wie unfähig ich bin. Sie war tatsächlich gemein und ich nicht besonders fleißig ... habe aber alles geschafft. Es gab andere, bessere Dozenten danach.

Übrigens hätten meine Eltern mich nie gezwungen weiter zu machen. Irgendwie ist es ihnen gelungen, mich wieder aufzubauen und ich habe dann gemeinsam mit meiner (auch heute noch) besten Freundin russische Grammatik gepaukt und als Dankeschön habe ich für sie Bücher gelesen, die ich ihr dann kurz vor der Prüfung in Literatur erzählt habe ;)).


vor 20 Jahren:

Verheiratet, Sohn 4 Jahre alt. Wunderschöne, entspannende und liebevolle Weihnachten.

Wir wohnten damals in Ludwigsfelde, da mein Mann da Arbeit hatte und es eben nur da für uns eine Wohnung gab. Ich habe es in diesem Ort kaum ausgehalten. Man konnte sich nur mit dem Fahrrad fortbewegen, einmal in der Stunde fuhr ein Bus. Es gab ca. zwei Kaufhallen und in der Stadtmitte, soweit man das so nennen konnte, eine Art Kaufhaus.

Ich habe dort ein einziges Weihnachtsfest verbracht – unser Sohn war krank. Weihnachten waren wir in aller Regel in Weimar und wurden von meinen Eltern verwöhnt. Für uns hieß das: ausschlafen, unser Sohn durfte mal die Großeltern wecken, kein Einkaufstress (der Einkaufstress der DDR war noch etwas anders, als das heute der Fall ist – heute kann ich den Stress durch Planung minimieren). Meine Oma lebt noch und kann auch noch relativ aktiv an allem teilnehmen, sie war Jahrgang 1896.


vor 10 Jahren:

Ich war 38, seit einigen Jahren geschieden. Familienweihnacht war schön ... ansonsten war ich einsam und habe damals viel gelitten.

Ich habe mir das Leben überhaupt schwer gemacht mit so viel überflüssigem Leid, was ich einfach zugelassen habe. Heute bin ich froh, dass mein Sohn die depressiven Phasen seiner Mutter so gut überstanden hat. Ich bereue die mit Kummer zugebrachte Zeit.

Keine Ahnung ob man das tatsächlich braucht, um zu „reifen“. Heute könnte ich wahrscheinlich Partnerschaftsberatung machen …

Es war wohl auch das Jahr, wo mein Weihnachtsbaum auf mich gefallen ist. Hat alles immer gepasst. Ich hatte auch Zeit, aber statt alles zu machen, was Spaß macht, habe ich mich von Traurigkeit lähmen lassen. Viel Kreativität ist in die Brüche gegangen, weil ich nur noch aufgestanden bin aus Pflichtgefühl.

Wenn heute die große Traurigkeit in mir aufkommt aus welchen Gründen auch immer, denke ich an damals und das ich nur aus eigener Kraft wieder aufgestanden bin. Und ich denke an alle Rezepte, die ich mir selbst verordnet habe, um wieder etwas Freude am Leben zu gewinnen.

Ich habe aber auch Raubbau an meiner Gesundheit getrieben, rauchte, habe Beruhigungstabletten geschluckt usw ... meine Familie hat sich so bemüht, mir die Traurigkeit zu nehmen. Ich habe es ihnen nicht leicht gemacht. Wenn ich mir vorstelle, mein Sohn wäre immer traurig, es würde mir wohl das Herz brechen.
bitte vervollständigen:
- Weihnachten ist für mich das Fest ...
... der Liebe und der Besinnung.
- ohne Weihnachten wäre das Leben ....
... ärmer.
- am heiligen Abend werde ich ...
... wieder auf zwei Hochzeiten tanzen.
- vom Christkind wünsche ich mir ...
... etwas Zeit zum Lesen.
Danke sehr, Martina, für Deine Worte und die Bilder :)).