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30. Januar 2007

Der Papa ... ist Besitzer einer gut gehenden Eisenhandlung.
Ein gütiger, ausgeglichener, lebensfroher Mensch.

Die Mama ... ist "kein" Familienmensch, kühl, distanziert und auch noch drogenabhängig.
In erster Linie widmet sie sich ihrer Antiquitätensammlung.

Kinder ... sind auch da.
Eines davon heißt Georg.
Georg ist homosexuell.

Georg ist ein schlechter Schüler.
Georg bleibt zweimal sitzen und beendet seine Schullaufbahn ohne Abschluss.
Mit 18 Jahre nimmt er zum ersten Mal Drogen.
Georg lernt Apotheker, was ihm auch den Zugang zu Drogen erleichtert.
Später studiert er sogar Pharmazie und promoviert als Magister.

Trotz dieser beruflichen Erfolge verfällt Georg in Depression und Drogenexzesse.
Teilweise hat er panische Angst vor fremden Menschen und lebte durch Alkohol und Drogen zwischen Euphorie und Betäubung.

Der Krieg beginnt.
Georg wird einberufen.
Er arbeitet im Lazarett und muss 90 Schwerverwundete alleine versorgen.
Vor seinen Augen erschießt sich ein Verwundeter.
Georg rennt nach draußen.
Was er sieht, sind die Gehenkten an den Bäumen.
Nervenzusammenbruch.

Georg will sich umbringen, was Kameraden aber verhindern können.
Georg wird zur Beobachtung in ein Militärhospital eingewiesen.
Dort stirbt er an einer Überdosis Kokain.
Im Alter von 27 Jahren.

Unglück ?
Selbstmord ?
Man wird es nie erfahren.

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Warum steht hier die Biographie eines, wie es aussieht, ziemlich beschissenen Lebens.
Weil der Herr ein begnadeter Dichter war, dessen Werke die Zeit überdauern.
Eine kleine Auswahl:


Ein Winterabend

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.

Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.


--

Musik im Mirabell

Ein Brunnen singt. Die Wolken stehn
Im klaren Blau, die weißen, zarten.
Bedächtig stille Menschen gehn
Am Abend durch den alten Garten.

Der Ahnen Marmor ist ergraut.
Ein Vogelzug streift in die Weiten.
Ein Faun mit toten Augen schaut
Nach Schatten, die ins Dunkel gleiten.

Das Laub fällt rot vom alten Baum
Und kreist herein durchs offne Fenster.
Ein Feuerschein glüht auf im Raum
Und malet trübe Angstgespenster.

Ein weißer Fremdling tritt ins Haus.
Ein Hund stürzt durch verfallene Gänge.
Die Magd löscht eine Lampe aus,
Das Ohr hört nachts Sonatenklänge.

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Trompeten

Unter verschnittenen Weiden, wo braune Kinder spielen
Und Blätter treiben, tönen Trompeten. Ein Kirchhofsschauer.
Fahnen von Scharlach stürzen durch des Ahorns Trauer
Reiter entlang an Roggenfeldern, leeren Mühlen.

Oder Hirten singen nachts und Hirsche treten
In den Kreis ihrer Feuer, des Hains uralte Trauer,
Tanzende heben sich von einer schwarzen Mauer;
Fahnen von Scharlach, Lachen, Wahnsinn, Trompeten.

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Zu Abend mein Herz

Am Abend hört man den Schrei der Fledermäuse.
Zwei Rappen springen auf der Wiese.
Der rote Ahorn rauscht.
Dem Wanderer erscheint die kleine Schenke am Weg.
Herrlich schmecken junger Wein und Nüsse.
Herrlich: betrunken zu taumeln in dämmernden Wald.
Durch schwarzes Geäst tönen schmerzliche Glocken.
Auf das Gesicht tropft Tau.


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Auszug aus "Traumland"

Manchmal muß ich wieder jener stillen Tage gedenken, die mir sind wie ein wundersames, glücklich verbrachtes Leben, das ich fraglos genießen konnte, gleich einem Geschenk aus gütigen, unbekannten Händen. Und jene kleine Stadt im Talesgrund ersteht da wieder in meiner Erinnerung mit ihrer breiten Hauptstraße, durch die sich eine lange Allee prachtvoller Lindenbäume hinzieht, mit ihren winkeligen Seitengassen, die erfüllt sind von heimlich schaffendem Leben kleiner Kaufleute und Handwerker - und mit dem alten Stadtbrunnen mitten auf dem Platze, der im Sonnenschein so verträumt plätschert, und wo am Abend zum Rauschen des Wassers Liebesgeflüster klingt. Die Stadt aber scheint von vergangenem Leben zu träumen.
Und sanft geschwungene Hügel, über die sich feierliche, schweigsame Tannenwälder ausdehnen, schließen das Tal von der Außenwelt ab. Die Kuppen schmiegen sich weich an den fernen, lichten Himmel, und in dieser Berührung von Himmel und Erde scheint einem der Weltraum ein Teil der Heimat zu sein. Menschengestalten kommen mir auf einmal in den Sinn, und vor mir lebt wieder das Leben ihrer Vergangenheit auf, mit all’ seinen kleinen Leiden und Freuden, die diese Menschen ohne Scheu einander anvertrauen durften.
 Acht Wochen habe ich in dieser Entlegenheit verlebt; diese acht Wochen sind mir wie ein losgelöster, eigener Teil meines Lebens - ein Leben für sich - voll eines unsäglichen, jungen Glückes, voll einer starken Sehnsucht nach fernen, schönen Dingen. Hier empfing meine Knabenseele zum erstenmale den Eindruck eines großen Erlebens.



Alles: © Georg Trakl

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Dies sind ein paar Gedichte des Herrn, die Mehrzeil seiner Werke sind viel düsterer, düster wie sein Leben.
Georgs Gedichte können auf malerische Art so unendlich schwarz sein.
Düster geht kaum.
Nichts für zarte Gemüter.
Aber dennoch: lesenswerte kleine Dramen.

Linktipp zum Weiterlesen: alle literarischen Werke von Georg Trakl



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