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10. April 2008

 
Dieses Foto ...



... wäre das letzte gewesen, dass ich in diese Richtung fotografiert hätte.
Und es war schon eine Notlösung, wenn unten Menschen sind,
dann fotografiere ich halt nur den Turm.

Natürlich wurde ich von den Beiden beobachtet und ich schaute auch hin zu ihnen.

Und in diesem Moment stellt sich Udo in Positur ...



und sagt "willste nicht auch einmal ein Foto von mir machen".

Knips ... schon geschehen ... das lass ich mir nun nicht zweimal sagen.
Das wars aber auch schon für diesen Moment.
Ich hatte die beiden fotografiert, an eine Veröffentlichung eher nicht gedacht
und also auch nicht vor, die beiden zu fragen, ob ich das darf.
Aber es waren dennoch alle möglichen Gedanken in meinem Kopf
und ich drehte mich erstmal um und fotografierte die Rückseites des Doms,



weil ich ja deswegen hier hin gelaufen war.

--

Diese Bitte um ein Foto war wie eine Einladung.
Wie eine offene Tür, die es heutzutage (auch bei Obdachlosen) selten gibt.

Ein Gespräch gab es aber immer noch nicht, doch ich traute mich,
weitere Bilder zu machen:



Sooo mutig, dass ich jeden Obdachlosen fotografiere, bin ich nun auch nicht.
Sie sind ja keine Ausstellungsstücke, auch wenn jeder hinschaut.
Wenn ich aber merke, dass sie gerne fotografiert werden, dann mache ich das natürlich.

Ich bin ja nun eher nicht spendenfreudig, weil ich schon wissen will,
ob jemand wirklich bedürftig ist und alle sich ihm bietenden Möglichkeiten ausgenutzt hat.

Auf jeden Fall folgte danach das berühmte Portraitfoto
und dann noch ein paar Bilder von Beiden:



Es folgte jetzt das erste, kurze Gespräch ... dann suchte ich Beate und fand sie
auf der anderen Seite des Doms (so ungefähr hatte ich schon gewusst, wo sie ist ;)) ).

Ich sagte Ihr, dass es etwas dauern wird, bis ich wieder komme
und ging zurück zu den Beiden.

Nun folgte ein 10 Minuten langes Gespräch mit ihnen
und ich gab ihnen auch 10 Euro (je 5 von Beate und mir),
worauf sie spontan sagten, dass sie von diesem Geld etwas essen gehen wollten.

In diesem Gespräch erfuhr ich, dass Udo (schwarzer Pullover) 52 Jahre ist,
davon 28 Jahre auf der Straße. Der Grund: Scheidung.

Detlef ist 5 Jahre obdachlos, sein Grund: Tod der Ehefrau,
dann Alkohol, Wohnung verloren undsoweiter.

Ob ich die Bilder veröffentlichen darf, fragte ich.
Ja, gerne, war die Antwort.

Ich fragte sie, ob sie betteln oder wie sie das, was sie unbedingt brauchen, finanzieren.
Sie könnten sich bei der Stadt pro Person 11,60 € Unterstützung abholen.
Was mich nun doch überrascht hatte, denn ich dachte, Obdachlose hätten diesen Anspruch gar nicht.
Allerdings ist es wohl so, dass nicht alle das auch in Anspruch nehmen.

Und sonst würden sie auch noch auf der Straße sitzen und betteln.
Aber es wäre wichtig und hätte auch Priorität, dass das Essen
und nicht nur das Trinken gesichert sind.

Weil er mir so nüchtern vorkam, fragte ich mal um die Ecke: "normalerweise
sagt man ja, dass Menschen wie ihr Alkoholiker seid".

"Sind wir auch" war die offene und ehrliche Antwort.

Udo will gar keine Wohnung und irgendwann mal auf der Straße sterben.
Detlef hat mir von der Geschichte des Speyerer Doms erzählt.
Verstand versoffen ... bei den Zweien nicht.

Die Frage, ob sie schon immer in Speyer lebten, verneinten sie ... Udo kommt
aus dem Ruhrgebiet und Detlef aus Berlin.
Sie reisen nun von Stadt zu Stadt und ihr Ziel sind immer Städte,
die ihnen diese 11 Euro bezahlen ... und das macht nicht jede Stadt.
Nach Koblenz gings demnächst ... auf meine Frage "wie ?" gabs die Antwort "mit dem Zug".

Naturlich fragte ich weiter "und wenn dann der Schaffner kommt ?" und erhielt die Antwort
"dann sagen wir, das wir obdachlos sind, was soll er dann machen.
Er kann uns höchstens an der nächsten Station rausschmeissen,
dann steigen wir in den nächsten Zug wieder ein".

Ich erfuhr noch, dass Udo Detlef aus so einem Containerdorf "gerettet" habe
und dieses ganz tolle Gespräch fand dann irgendwann sein Ende.

--

Es kamen Menschen des Weges.
Sesshafte Sonntagsmenschen ... Vater, Mutter, Kegel, Kind.

Das Kind war ein kleiner Junge mit einem Ast in der Hand.
Damit schlug er auf alle Gänseblümchen ein, rupfte einige aus
und legte die Skalps auf die Erde.
Völlig ungestört von Vater und Mutter.
Da schüttelte ich nur noch den Kopf.
Respekt vor der Natur gehört zu den wesentlichen Dingen, die Kinder lernen sollten.

--

Auf der einen Seite: ein herzliches Gespräch mit Obdachlosen
Auf der anderen Seite: Kopfschütteln über Sesshafte

--

Hundert Meter weiter kreuzten sich unsere Wege (mittlerweile war Beate wieder an meiner Seite)
erneut ... Detlef war wasweißichwo gewesen und auf dem Rückweg lief er
zufällig an uns vorbei ... und fragte mich, wie denn meine Homepage heißen würden.

Ich schrieb es ihm auf und meinte "ich denke aber nicht, dass ihr einen Laptop habt
und surfen könnt" ... und die Antwort war "aber im Arbeitsamt, da stehen Computer".

Lächelnd ging ich weiter.
 

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