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1. November 2008

 

 

 

Das Licht

Die Sonne stand schon tief und spendete das reich gefüllte Licht über das Land, das es mit ihm vergoldete. Ich ging durch den Schatten, den eine Kirche warf und schaute mich um auf alten Gräbern, sah neue mit dem Schmuck auf dem Hügel, sah die Worte und Namen auf den Schleifen. Es gab liebevoll gepflegte Gräber auf einem kleinen Stückchen Erde, die am Ende für einen Stein reicht, der über die Stille wacht.

Ich rechnete im Kopf jeweils aus, wie alt der Mensch geworden war, und dachte an den Schmerz, der unbegraben blieb. Eine alte Frau beugte sich tief herab, um ein verwelktes Blatt zur Seite zu nehmen. Es hatte sich vom Baum gelöst und dem Sommer nachgeweint.

Als ich zur Kirche sah, die wie ein Pfeil nach oben stieß, bemerkte ich ein großes, fast bis zum Boden reichendes Fenster, das eher einer hohen schmalen Tür glich. Die Witterung hatte den Sandstein der Kirche geschwärzt, an ihm genagt wie eine Raupe, die nicht starb und fraß, und fraß. Im Sandstein gerahmt das große Fenster, das ich in Gold erwartete wie alles ringsumher, doch nichts von dem. Das Licht schien sich in ihm stumpf aufzulösen, verschwand geradezu in Bedeutungslosigkeit.

Neugierig geworden wo es denn blieb, öffnete ich die Tür zur Kirche und betrat den Raum, der eine Kühle ausströmte, die mich sofort erreichte. Meine Augen waren noch nicht auf die neuen Verhältnisse eingestellt, und so kam erst langsam das Ganze zu einem Bild. Während der Raum vorwiegend in Schatten gehüllt war, durchschnitt das Licht, nach dem ich suchte, ihn an einer bestimmten Stelle und fiel auf eine mächtige Wachskerze. Es schien nicht von ihr zu lassen, berührte den Boden nicht und nicht die Wand dahinter. Als hätte ein Beleuchter seine Hand mit im Spiel, um nur   s i e   in Szene zu setzen.

Auf dem vornehm gedeckten Weiß der Kerze bildeten sich Inseln von Grün neben denen von Blau, Sommersprossen in tiefem Rot sprenkelten ihre Seiten. Es war, als würde sie brennen. Nicht das Brennen am oberen Rand wie zum Fest. Es brannte ihr schlanker Körper, ohne zu verbrennen. Die Bahn der Sonnenstrahlen, die durch das Glas des Fensters so herrlich verändert wurde war gespachtelt, geschliffen, und für mich als stiller Bestauner nicht zu betreten oder zu durchqueren. Etwas hielt mich davon ab dahinter zu gehen, es zu durchbrechen.

Ich verließ den Raum nach einer Weile der Stille und trat wieder auf den Friedhof, der so blumenbewegt zwischen den errichteten Steinen das in den Armen hielt, das einmal lebte. Die alte Frau war verschwunden, und das Gold der Abendsonne hatte sich in Rost verwandelt, in dem bereits etwas vom abendlichen Blau steckte.

© Burkhard Jysch




Lichtblick
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