

Die Geschichte trägt den Titel
Licht ist überall
Karin erinnert sich:
... es war einmal eine Seelenfärblerin. Karin v.N. sollte mal ihr Name
werden, mit dem sie später im Internet kommentieren würde. Aber das
dauert noch einige Jahre, denn wir schreiben das Jahr 1999.
Die Adventszeit war nicht mehr das, was sie einmal war. Wehmütig dachte
Karin an früher, an ihre Kinderzeit. Da wurde gebastelt,
gewerkelt und gesungen. Es gab Bratäpfel aus dem Ofenrohr, gefüllt mit Mandelstiften und
Rosinen. Der Duft zog durch die ganze kleine Dachgeschoßwohnung. Wenn
man abends beim Schein der Kerzen zusammen saß und die Maronenschalen
platzen auf dem Rand des bullernden Kohleofens, verfolgte Karin
immer wieder diesen kleinen Lichtpunkt an der Decke, den die Öffnung der Herdplatte an die Decke spiegelte.
Das Feuer knisterte im Ofen. Auf dem Tisch stand die kleine
Weihnachtspyramide aus dem Erzgebirge, deren rauchgeschwärzte Flügel die
kleinen Engelchen durch die warme Luft, die von den Kerzen aufstieg,
schnell im Kreise sausen ließ. Auch später, mit den eigenen Kindern, saß Karin
noch um die Weihnachtspyramide und freute sich am Glanz der Kinderaugen.
Inzwischen schmückte sie längst das eigene Haus, wenn die Adventszeit vor der Türe
steht, aber diese schöne Wärme von früher, die kann sie sich einfach
nicht zurückholen. Und es liegt nicht an der heutigen Gasheizung im
Haus. Irgendwann fällt es ihr wie Schuppen von den Augen.
Diese Wärme, die sie vermisst, ist das Miteinander der Menschen, Lichter
anzünden in den Herzen der Leute.
Zwanzig Jahre wohnt sie nun schon in diesem kleinen Ort am Niederrhein.
Mit Entsetzen stellt sie fest, dass sie nicht einmal den Namen der Leute
kennt, die gegenüber ihrem Wohnzimmerfenster in das kleine Reihenhaus
vor ein paar Jahren eingezogen sind.
Und wie geht es der Familie die
daneben wohnt? Die größere Tochter ist jetzt wohl öfter als sonst wieder
zu sehen und hat ihre zwei Kinder dabei. Und wie heißt die Frau, die in
der rechten Hälfte des Flachdachbungalows links hinten wohnt? Sie kann
sehr schlecht laufen und fährt bei Wind und Wetter immer mit einem
Elektromobil. Warum schaut sie wohl immer so verbittert?
In der anderen
Hälfte wohnt ein Ehepaar mittleren Alters. Der Mann ist wohl seit
längerem arbeitslos, denn sie sieht ihn zu allen möglichen Tageszeiten
mit den Hunden spazieren gehen. Man fragt halt nicht, will nicht
neugierig sein.
.
.
Aus der Bücherei leiht sich Karin ein Buch mit den schönsten
Geschichten zur Advents- und Weihnachtszeit. Sie sind so wunderbar, dass
sie beschließt, diese Geschichten einfach weiterzugeben.
Sie schreibt sie hübsch ab, bindet ein silbernes Bändchen drumherum und
packt die ersten Zettel in ihren Einkaufskorb. Als es dämmert, macht sie sich auf den
Weg. Leise, so leise wie möglich, huscht Karin von Tür zu Tür und steckt
die Zettel durch die Briefkastenschlitze. Ohne Absender !! Karins Herz klopft ganz
aufgeregt und sie freut sich diebisch über ihre Heimlichkeit.
"Hoffentlich hat mich keiner gesehen", geht es ihr durch denn Sinn ...
so ... die
letzte Haustür ist geschafft! Ohne erwischt zu werden!! Ein
klitzekleines bisschen kommt sie sich vor wie das Christkind, das eben
beschert hat.
Ihre abendliche Adventsrunde macht Karin insgesamt vier Mal. Jedes Mal
wirft sie in die gleichen Briefkästen weihnachtliche
Gedichte und Geschichten.
Karin stellt sich vor, welche Gedanken die Menschen haben werden, wenn sie
die Weihnachtsgeschichten finden und sie lesen. Wieder so ein
Reklame-Mist? Macht sich da jemand einen Scherz mit uns? Oder freuen sie
sich genauso wie sie, als sie die Geschichten zum ersten Mal las?
Erst
beim vierten Mal fügt sie der letzten Geschichte "von der Kerze, die
nicht brennen wollte" einen Weihnachtsgruß bei und setzt ihren Namen
darunter. Sie hat dieses Mal jedem eine kleine Kerze dazugelegt in der
Hoffnung, ein Licht anzünden zu können.
.
.
Die erste Reaktion kam von den alten Leuten, ihrem Wohnzimmerfenster
gegenüber ... "meine Frau und ich, wir haben uns so gefreut und unsere
Tochter hat eine Geschichte gleich ihrer Klasse mitgenommen, sie ist
nämlich Lehrerin. Herzlichen Dank!".
Eine andere Nachbarin bringt selbstgebackene Plätzchen und etwas
Gebasteltes zum Advent ... "wir fanden es wunderschön!".
Dann geht die Briefkastenklappe. Genauso heimlich, wie sie ihre
Weihnachtsgeschichten verteilt hat, fallen selbst gestaltete
Tonpapierkarten mit ganz lieben Zeilen in den Flur und dem Dankeschön
für ... und Dankeschön für ... und überhaupt.
Einmal kann sie gerade noch die Türe aufreißen und erwischt die Frau,
bei der in der letzten Zeit die Tochter häufiger als sonst mit den
Kindern zu Gast war. Sie bittet sie herein und bei dem Gespräch, das
ohne die "Weihnachtsgeschichten" wohl nicht stattgefunden hätte, kullern
Tränen auf beiden Seiten.
Man spricht miteinander ...
... und auf einmal spürt sie die Wärme, die sie
vorher so vermisst hat.
Licht ist überall. Man muss es nur anzünden.
Frohe Weihnacht Euch Allen :)).
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