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24. Dezember 2008

 




Die Geschichte trägt den Titel

Licht ist überall


Karin erinnert sich:


... es war einmal eine Seelenfärblerin. Karin v.N. sollte mal ihr Name werden, mit dem sie später im Internet kommentieren würde. Aber das dauert noch einige Jahre, denn wir schreiben das Jahr 1999.

Die Adventszeit war nicht mehr das, was sie einmal war. Wehmütig dachte Karin an früher, an ihre Kinderzeit. Da wurde gebastelt, gewerkelt und gesungen. Es gab Bratäpfel aus dem Ofenrohr, gefüllt mit Mandelstiften und Rosinen. Der Duft zog durch die ganze kleine Dachgeschoßwohnung. Wenn man abends beim Schein der Kerzen zusammen saß und die Maronenschalen platzen auf dem Rand des bullernden Kohleofens, verfolgte Karin immer wieder diesen kleinen Lichtpunkt an der Decke, den die Öffnung der Herdplatte an die Decke spiegelte.

Das Feuer knisterte im Ofen. Auf dem Tisch stand die kleine Weihnachtspyramide aus dem Erzgebirge, deren rauchgeschwärzte Flügel die kleinen Engelchen durch die warme Luft, die von den Kerzen aufstieg, schnell im Kreise sausen ließ. Auch später, mit den eigenen Kindern, saß Karin noch um die Weihnachtspyramide und freute sich am Glanz der Kinderaugen.

Inzwischen schmückte sie längst das eigene Haus, wenn die Adventszeit vor der Türe steht, aber diese schöne Wärme von früher, die kann sie sich einfach nicht zurückholen. Und es liegt nicht an der heutigen Gasheizung im Haus. Irgendwann fällt es ihr wie Schuppen von den Augen.

Diese Wärme, die sie vermisst, ist das Miteinander der Menschen, Lichter anzünden in den Herzen der Leute. Zwanzig Jahre wohnt sie nun schon in diesem kleinen Ort am Niederrhein. Mit Entsetzen stellt sie fest, dass sie nicht einmal den Namen der Leute kennt, die gegenüber ihrem Wohnzimmerfenster in das kleine Reihenhaus vor ein paar Jahren eingezogen sind.

Und wie geht es der Familie die daneben wohnt? Die größere Tochter ist jetzt wohl öfter als sonst wieder zu sehen und hat ihre zwei Kinder dabei. Und wie heißt die Frau, die in der rechten Hälfte des Flachdachbungalows links hinten wohnt? Sie kann sehr schlecht laufen und fährt bei Wind und Wetter immer mit einem Elektromobil. Warum schaut sie wohl immer so verbittert?

In der anderen Hälfte wohnt ein Ehepaar mittleren Alters. Der Mann ist wohl seit längerem arbeitslos, denn sie sieht ihn zu allen möglichen Tageszeiten mit den Hunden spazieren gehen. Man fragt halt nicht, will nicht neugierig sein.

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Aus der Bücherei leiht sich Karin ein Buch mit den schönsten Geschichten zur Advents- und Weihnachtszeit. Sie sind so wunderbar, dass sie beschließt, diese Geschichten einfach weiterzugeben.

Sie schreibt sie hübsch ab, bindet ein silbernes Bändchen drumherum und packt die ersten Zettel in ihren Einkaufskorb. Als es dämmert, macht sie sich auf den Weg. Leise, so leise wie möglich, huscht Karin von Tür zu Tür und steckt die Zettel durch die Briefkastenschlitze. Ohne Absender !! Karins Herz klopft ganz aufgeregt und sie freut sich diebisch über ihre Heimlichkeit.

"Hoffentlich hat mich keiner gesehen", geht es ihr durch denn Sinn ... so ... die letzte Haustür ist geschafft! Ohne erwischt zu werden!! Ein klitzekleines bisschen kommt sie sich vor wie das Christkind, das eben beschert hat.

Ihre abendliche Adventsrunde macht Karin insgesamt vier Mal. Jedes Mal wirft sie in die gleichen Briefkästen weihnachtliche Gedichte und Geschichten.

Karin stellt sich vor, welche Gedanken die Menschen haben werden, wenn sie die Weihnachtsgeschichten finden und sie lesen. Wieder so ein Reklame-Mist? Macht sich da jemand einen Scherz mit uns? Oder freuen sie sich genauso wie sie, als sie die Geschichten zum ersten Mal las?

Erst beim vierten Mal fügt sie der letzten Geschichte "von der Kerze, die nicht brennen wollte" einen Weihnachtsgruß bei und setzt ihren Namen darunter. Sie hat dieses Mal jedem eine kleine Kerze dazugelegt in der Hoffnung, ein Licht anzünden zu können.

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Die erste Reaktion kam von den alten Leuten, ihrem Wohnzimmerfenster gegenüber ... "meine Frau und ich, wir haben uns so gefreut und unsere Tochter hat eine Geschichte gleich ihrer Klasse mitgenommen, sie ist nämlich Lehrerin. Herzlichen Dank!".

Eine andere Nachbarin bringt selbstgebackene Plätzchen und etwas Gebasteltes zum Advent ... "wir fanden es wunderschön!".
 
Dann geht die Briefkastenklappe. Genauso heimlich, wie sie ihre Weihnachtsgeschichten verteilt hat, fallen selbst gestaltete Tonpapierkarten mit ganz lieben Zeilen in den Flur und dem Dankeschön für ... und Dankeschön für ... und überhaupt.

Einmal kann sie gerade noch die Türe aufreißen und erwischt die Frau, bei der in der letzten Zeit die Tochter häufiger als sonst mit den Kindern zu Gast war. Sie bittet sie herein und bei dem Gespräch, das ohne die "Weihnachtsgeschichten" wohl nicht stattgefunden hätte, kullern Tränen auf beiden Seiten.

Man spricht miteinander ...

... und auf einmal spürt sie die Wärme, die sie vorher so vermisst hat.


Licht ist überall. Man muss es nur anzünden.


Frohe Weihnacht Euch Allen :)).
  
 



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