Die
Seelenfärbler-Weihnachtsgeschichte

heute: eine Geschichte von Birgit L.


Der Mann vor der Bäckerei

Es war Advent und ich war mit dem Auto in die Stadt gefahren, um auf den Weihnachtsmarkt zu gehen. Es muß noch recht früh am Tag gewesen sein, denn es war noch hell. Ich hatte mein Auto im Parkhaus abgestellt und war auf dem Weg zum Marktplatz vor dem Münster. Ich freute mich auf den Markt, die Buden mit ihrem Schmuck, die vielen verschiedenen, teilweise handgearbeiten Kleinigkeiten ... und ich freute mich auf das Glitzern des Schnees auf der Krippe in der Mitte des Marktes, auf den Duft von gebrannten Mandeln, Lebkuchen und Glühwein.

Aber wie immer, wenn ich irgendwo in der Stadt unterwegs war, konnte ich es nicht lassen, mir bei dem erstbesten Bäcker auf meinem Weg eine Kleinigkeit zum Schnabbulieren zu kaufen, nicht einmal, wenn ich eigentlich auf dem Weg zum Weihnachtsmarkt und seinen vielen Leckereien war. Ich bog also von meiner Richtung ab und steuerte auf die Bäckerei rechts von mir zu.

Schon von Weitem sah ich ihn sitzen, direkt neben der Eingangstreppe des Bäckers. Er trug einen alten Parka, der aussah, als stammte er aus ehemaligen Armeebeständen, und abgewetzte Jeans. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen, denn er hatte den Kopf auf die Arme gelegt, die er um seine Knie geschlungen hatte. Ich weiß noch, daß ich dachte, wie unmenschlich kalt es dort am Boden sein mußte, und wie er nur so lange da sitzen konnte!

Als ich die Stufen erreichte, hob er den Kopf, und ich war ganz erschrocken, wie jung er aussah. Sein bartloses Gesicht hatte überhaupt keine Falten und auch nicht die wettergegerbte Tönung, wie Menschen sie haben, die fast ununterbrochen im Freien sind. Aber der kurze Blick, den er mir zuwarf, war bereits genauso leer und müde wie bei jemandem, der seit Jahren auf der Straße lebt.

Ich hatte die Tür der Bäckerei noch nicht aufgedrückt, da hatte ich schon beschlossen, daß ich nicht nur eines, sondern zwei Rosinenbrötchen kaufen würde. Und das tat ich dann auch. Auf dem Weg zurück nach draußen nahm ich eines der Brötchen aus der Tüte und faltete sie wieder zu. Dann öffnete ich die Tür, ging die Treppe hinunter und trat zu ihm.

"Hier", sagte ich und hielt ihm die Tüte mit dem zweiten Brötchen hin, "frohe Weihnachten."

Er hob den Kopf und sah mich einen Moment lang verständnislos an.

Dann fiel sein Blick auf die Tüte in meiner Hand, und auf einmal veränderte sich sein Ausdruck vollkommen! Seine Augen weiteten sich, er lächelte zaghaft. Und dann war es, als wäre plötzlich die Sonne aufgegangen, so viel Licht strahlte aus diesem zuvor so leeren Geisicht.

"Danke!" sagte er leise, und aus diesem einen Wort klang ein beinahe ehrfürchtiges Staunen, eine solche Freude, eine so tief empfundene Dankbarkeit, daß es diesen kurzen Augenblick regelrecht vergoldete, und tatsächlich Weinachten war.

Auf dem weiteren Weg zum Weihnachtsmarkt fühlte ich mich so leicht und froh, daß ich fast schwebte. Als mir einfiel, daß ich eigentlich noch eine Weile mit ihm hätte reden können, hätte herausfinden können, warum ein so junger Kerl wie er an der Straße saß, da war es schon zu spät. Er war nicht mehr da.

Aber bis heute bringt die Erinnerung an diese kurze Begegnung mein Herz zum Leuchten. Ich hatte jemandem mit einem kleinen Geschenk ein wenig Freude bereiten wollen. Statt dessen war ich es, die beschenkt worden war, so reich, daß es mich bis heute wärmt.

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Das war das 7. Türchen mit

- den Lichterfäden
- dem Zuhause der Sehnsucht
- Marias Krippe und dem Esel
- der Fotosession mit dem Glitzerpapier
- dem Mann vor der Bäckerei



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