Sywe erzählt:

Als ich im Vorschulalter war, so Anfang der 50er Jahre,
freute ich mich auf Weihnachten schon lange vorher.
Ich glaubte noch an das Christkind.
Aber noch etwas anderes machte mich glücklich:
Die Großeltern kamen zu Besuch und meine Eltern stritten sich am Heiligabend nie!

Am Vormittag hatte dann mein Großvater "ganz dringende Sachen"
zu erledigen und brauchte mich dabei.
Ich liebte ihn vom Herzen und ging sehr gern mit.

Wenn ich an die Weihnachtsfeste meiner Kindheit zurückdenke,
dann war es kalt und es lag Schnee.
Wir stapften durch den Schnee, Opa erzählte mir lustige Geschichten,
wir suchten dann ein paar Bekannte auf und holten für die Großmutter die Blumen ab.

Jedes Weihnachten schenkte der Großvater der Großmutter einen großen Strauß Chrysanthemen.
Dann aßen wir in einer Wirtschaft eine Bockwurst oder Spiegeleier.
Ich war glücklich mit ihm.

Wieder zu Hause, musste ich sofort ins Bett,
zu meinem Ärger war Mittagsschlaf angesagt und die strenge Mutter ergänzte noch,
wenn ich nicht schliefe, könnte ich abends nicht länger aufbleiben. Das wollte ich aber unbedingt.
Aber schlafen konnte ich vor lauter Aufregung natürlich nicht, ich erzählte mir Geschichten!

Wenn ich dann aufstehen durfte, stand im Wohnzimmer
auf dem Schreibtisch der geschmückte Tannenbaum.
Unter dem Baum lagen abgedeckt die Geschenke.
Das Christkind hatte alles schon gebracht, weil es doch so viel zu tun hatte.
Natürlich musste ich auf den Gabentisch schielen, um eventuelle Formen zu erkennen.
Ach, es war doch meistens falsch, was ich so dachte.

Es war die Aufgabe meines Vaters, den Baum zu schmücken.
Später machten wir das gemeinsam. Ich muss heute noch schmunzeln:
Akribisch hängte er jeden Faden Lametta einzeln auf und sang dabei leise Weihnachtslieder.

Wir setzten uns zusammen, es gab Kaffee und Stollen und für mich Kakao.
Der Tisch war schön geschmückt, die Kerzen der erzgebirgischen Pyramide brannten,
es roch nach Tanne, Räuchermännchen, Orangen, Lebkuchen.

Nach dem Kaffeetrinken und Aufräumen setzten wir uns wieder alle hin,
es brannten nur die Kerzen auf dem Tisch, mein Vater las die Weihnachtsgeschichte
aus dem Lukasevangelium, es wurde gemeinsam gesungen, Gedichte aufgesagt
und kurze Weihnachtserzählungen vorgelesen.
An diese ruhige 1 1/2 Stunde erinnere ich mich sehr gern, es war so friedlich und besinnlich.
Immer wenn jemand von besinnlichen Weihnachten spricht, denke ich daran zurück.

Und wieder wurde der Tisch abgeräumt - aber die Geschenke gab es noch nicht.
Das Abendessen bestand traditionsgemäß aus Kartoffelsalat mit Wiener Würstchen und dazu gab es Bier.
Ich bekam ein Schnapsglas voll, damit ich mit anstoßen konnte.
Das Weihnachtsessen war etwas Besonderes, keiner durfte während des Essens vom Tisch aufstehen.
Darauf achtete meine Großmutter sehr, denn sie glaubte daran,
dann geschehe im nächsten Jahr in der Familie ein Unglück.

Dann aber war es soweit - die Kerzen des Baumes wurden angezündet, die Decke weg gezogen,
wir wünschten uns gegenseitig gesegnete Weihnachten.

Unter dem Baum stand eine Krippe aus Pappe, aber sie war herrlich!
 
Jedes Geschenk war eingepackt und ein Schleifchen drumherum und jeder bekam etwas.
Für mich stand u.a. die Puppenstube da, in der auch ein paar neue Sächelchen waren.
Wir waren sehr glücklich, zeigten uns die bescheidenen Geschenke und erzählten bis in die Nacht.

Die Harmonie war für mich das Wichtigste am Weihnachtsfest.
Wir alle achteten am Heiligabend und an den Feiertagen darauf, dass kein Missklang auftrat.
Es gab damals keine Hektik und keinen Stress, auch kein Fernsehen.
Die Vorbereitungen liefen ruhig und schon Monate vorher.
Ich habe dies auch immer angestrebt, aber es ist mir selten gelungen!
 

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