Thamars erzählt:
Heiliger Abend ...
... am Abend des 23.12. wurde der einige Tage vorher gekaufte und
in der kalten Garage gelagerte Tannenbaum, immer eine gute
Nordmanntanne, die die Tage
in der warmen Stube ohne allzu viel Nadelverlust überstehen sollte,
in das Wohnzimmer gebracht.
Ab diesem Moment wurde die Wohnzimmertür abgeschlossen
und wir Kinder durften den Raum nicht mehr betreten.
Stand man am 24.12. auf, meist ohne viel Schlaf in dieser Nacht,
war doch die Vorfreude und Aufregung sehr groß.
Der Tag war, abgesehen von den Weihnachtsliedern, die auf den Lippen
lagen
und die Räume verzauberten, ein Tag, der seinen normalen Gang nahm.
Nachmittags mussten wir Kinder meist noch einmal das Zimmer
aufräumen,
ich denke, um die übersprudelnde Vorfreude im Zaum zu halten.
Auch, wenn es verboten war, musste der Blick durchs Schlüsselloch
gewagt werden.
Natürlich sah man nichts.
Einmal jedoch war ich der festen Meinung, etwas Rotes entdeckt zu
haben.
Wie sich viel später heraus stellte, als ich bei der abendlichen
Bescherung nämlich
gar nichts Passendes fand, hatte meine Mutter ein rotes Tuch vor das
Türschloss gehängt.
Nach dem Aufräumen ... es wurde schon langsam düster ... kam Oma und
Schwester zu Besuch,
in manchem Jahren waren auch noch mehr Omas bei uns zu Hause.
Dann wurde in der Küche am runden Küchentisch zusammen gerückt,
der Dielen-Telefonstuhl mit in die Küche geholt und, reichte das
noch nicht,
auch noch der kleine Hocker, der aus Platzgründen immer im Gästebad
stand.
Es gab "Grabbelchen", eine Spezialität meiner Oma, welche meine
Mutter gar nicht
verzehrt sehen wollte sowie selbstgebackene Weihnachtsplätzchen.
Viel wurde geflüstert und aus dem Küchenfenster hinaus auf die
Obstwiese des Nachbargrundstückes
geschaut ... hatte jemand den Weihnachtsmann gesehen?
Pssscht ... oder war er es, der dieses Geräusch verursacht hatte,
welches von der Haustür kam?
Natürlich war das alles nie der Weihnachtsmann gewesen,
doch wir Kinder wurden davon angesteckt und machten mit ... "oh ...
hast du da auch
was Rotes gesehen? Ich bin mir sicher, das war der Weihnachtsmann!!
Ohh, ich habe den Weihnachtsmann gesehen!!"
Danach zogen sich alle gute Kleidung an dann ging die ganze Familie
in die Kirche.
War Glatteis gemeldet, fuhren wir noch früher los,
doch auch sonst war es in der Kirche vor allem voll und kalt.
Doch mein Vater hatte so eine schöne, baritone Gesangsstimme, dass
es schön war,
wenn in der Kirche die Gemeinde gemeinsam Weihnachtslieder
anstimmte.
Wieder daheim angekommen, war die Stimmung voller festlicher
Anspannung.
Wir mussten uns alle nochmals umziehen,
dieses Mal die besten Sachen, extra für den Heiligen Abend.
Dann versammelten sich alle, bis auf meine Mutter, vor der immer
noch
geschlossenen Wohnzimmertür und wir sangen ein letztes Mal
vor dem Fest des Hl. Abends ein Weihnachtslied.
Dann wurde alles still und wir horchten, ob wir das kleine silberne
Glöckchen,
welches jedes Jahr am Baum hing, hören konnten.
Erklang der silbrige, feine Ton, war es soweit, das Wohnzimmer,
jetzt Weihnachtszimmer,
wurde aufgeschlossen, das Licht drinnen war ausgeschaltet,
dafür strahlte der Tannenbaum mit seinen roten, elektrischen
Lichtern
sein ganz eigenes, festliches Licht – welch wunderschöner Anblick.
Die Augen wanderten schnell vom Baumglanz runter auf den Boden rings
um den Weihnachtsbaum,
auf dem viele, eingepackte Geschenke warteten. Diese mussten noch
etwas
auf das glückliche Auspacken von strahlenden Kindern warten,
denn zunächst wünschten sich die Erwachsenen ein "frohes Fest".
Dann klopfte es an der schweren hölzernen Haustür, und der
Weihnachtsmann
wurde vom Vater begrüßt und ins Wohnzimmer geleitet.
Hier standen wir Kinder, mit strahlenden Augen und roten Wangen
hofften wir,
bald die Geschenke auspacken zu dürfen, doch erst wollte der
Weihnachtsmann
begrüßt und geehrt werden ... jeder hatte ein vorher auswendig
gelerntes Gedicht aufzusagen,
manchmal wurde auch noch ein Flötenstück vorgeführt.
Dann griff der
große, runde, rote Mann in seinen mitgeführten Jutebeutel,
zog ein
Geschenk heraus
und fragte gleich, ob es nicht doch auch eher die Rute,
die ihm natürlich nicht fehlte, sein solle.
Der Weihnachtsmann ermahnte dann die Kinder, immer schön artig zu
sein,
dann wurde das Geschenk überreicht und im Anschluss gab es dann
eine festliche Bescherung im Familienkreis.
Leuchtende Kinderaugen, glückliche Züge auf den Gesichtern der
Eltern und Großeltern,
all die Anspannung des Jahres war für einen Moment vergessen,
es herrschte friedliche Weihnacht.
Jeder bekam ein oder mehrere Geschenke, manche knüllten das Papier,
ich selbst band jede Schleife sauber auf und machte es ebenso mit
dem
weihnachtlichen Geschenkpapier, welches sich sicher auch noch
im nächsten Jahr gebrauchen ließ.
Es wurden Lieder gesungen und Schallplatten mit Weihnachtsliedern
aufgelegt,
mit dem Geschenkten gespielt oder gebastelt, bis es irgendwann hieß,
sich von den Geschenken wenigstens für eine Stunde zu trennen,
dann wurde zum gemeinsamen Mahl gerufen.
Am Heiligen Abend gab es bei uns traditionsgemäß Gans, dazu Rotkohl
und Salzkartoffeln
sowie genug Bratensoße und zum Nachtisch ein weihnachtliches Eis.
Danach durften wir Kinder weiter spielen gehen, es wurde gesungen
und erzählt,
es herrschte Familienfrieden, wenigstens einmal im Jahr.
Später wurde gemeinsam gespielt, je nach Alter der Kinder waren es
Spiele wie
"Mensch Ärger Dich nicht" oder "Spitz pass auf", aber auch "Blinde
Kuh".
Einmal allerdings, da war alles anders und so gar nicht
festlich-friedlich,
einmal da gab es nämlich einen großen Krach genau an Weihnachten.
Wir Kinder standen fassungslos daneben, während die Oma draußen im
Bademantel
samt Kanarienvogel im Käfig im Schnee stand ... da hatte sich der
Frieden,
der nur einmal im Jahr ins Haus zog, wohl im Datum geirrt.
Denn es kam später sogar die Polizei wegen Handgreiflichkeiten.
Doch eigentlich war Weihnachten und speziell der Heilige Abend immer
ein schönes familiäres Fest,
wenngleich mit zunehmenden Jahren mehr und mehr klar wurde,
dass sich Erwachsene an so einem Tag eben besonders gut (oder
manchmal auch nicht)
zusammen reißen konnten.
Für uns als Kinder war es besonders quer,
von einem Tag auf den anderen “umzuschalten”.
Die Konstante, die sonst jeden Tag und viele Nächte in ein Grauen
tauchte,
war an diesem Tag wie weggewischt ... am Abend beim Glanz des
leuchtenden Baumes
gab es nur freundliche Gesichter und liebevolle Eltern kümmerten
sich
einmal im Jahr um ihre Kinder.
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