Burkhard erzählt:

Immer, wenn der Frost plötzlich über Nacht kam, sind wir früh raus vor das Haus.
Wir traten mit unseren Schuhen auf die dünnen Eisdecken,
die manchmal milchig weiß, dann kristallklar waren und sich
über den Vertiefungen der alten Schotterstrasse gebildet hatten.
Wie freuten wir uns über die Geräusche dabei.
Es war nicht wie bei richtigem Glas, es klang noch viel zerbrechlicher.

Der Herbst hatte sich einmal mehr mit Wind und Regen verabschiedet,
unsere Nasen und Wangen färbten sich rot.
So stürmisch wie der Herbst ging, so leise kam der Winter.
Zum Weihnachtsfest hin waren es nur noch wenige Tage, die wir mit zehn Fingern herunter zählten
und uns ungeduldig wünschten, dass wir nur eine Hand hätten...

Jetzt kamen die Verbote eine ganz bestimmte Tür eines ganz bestimmten Schrankes zu öffnen,
oder flach auf dem Boden liegend etwas Eingewickeltes darunter näher zu untersuchen.

Immer mehr Türen zum Adventskalender öffneten sich und zeigten wahnsinnig intelligente Bilder;
zum Beispiel einer Trompete oder einer Waffel.
Wichtig war allein die Zahl bis zur 24 hin, der großen Tür mit den zwei Flügeln,
hinter der einmal wieder die heilige Familie lauern würde mit dem kleinen Kind
in der zweckentfremdeten Krippe, über der ein seltsames Licht zu sehen war.

Der Tannenbaumständer wurde ausgesucht.
Es war üblich einen Eimer mit Sand zu füllen.
Das Grundstück war mit Tannen reich bestückt, sie wuchsen ja geradezu ins Zimmer.
Einer von ihnen, der die strengen Kriterien erfüllte, war es dann.
Im Frost sahen seine Zweige bereits wie geschmückt aus.
Es wurde so lange an ihm herum gesägt, bis er in den vorbereiteten Eimer passte.
Dabei passierte es häufig, dass seine schönsten Zweige dran glauben mussten.
Die Spitze ließen wir ihm, um ihn im Glauben zu lassen,
dass er weiter wachsen würde wie unsere Wünsche.

Hatten wir alles soweit vorbereitet, schleiften wir ihn in die warme Stube
mit einer Spur der Verwüstung hinter uns.
Grasreste, Tannennadeln, Rindenschnipsel und Sand waren der Preis
für glänzende Erhabenheit ihrer Majestät.
Der Hund war ganz aufgeregt, denn er verstand es einfach nicht,
wie verrückt man sein kann ihm noch den Baum hinterher zu tragen.
Die Ermahnung, ihn nicht wie sonst zu nutzen, kam irgendwie bei ihm an.
Immerhin gab es draußen ja reichlich Auswahl ...

Damals ging nichts ohne Lametta oder echte Kerzen.
Die roten waren die, die am längsten hielten.
Meist als Tropfen auf dem Teppich und schwer zu entfernen.
Ab dem frühen Nachmittag erhielten wir das Betretungsverbot für das Wohnzimmer,
wo seine Majestät den letzten Schliff bekam und ihm die Krone aufgesetzt wurde.
Eine Kugelspitze mit lauter Tüddelkram gab dem Ganzen den Anstrich einer fragilen Haltbarkeit.
Durch die Türritzen konnten wir diesen unverwechselbaren Geruch nach warmem Wachs,
nach Wald und Holz und Nadeln einsaugen und die Ohren spitzen, denn es raschelte verdächtig ...

Wenn dann endlich, endlich die Wohnzimmertür sich für uns öffnete,
entstanden die schwarz-weiß Fotos von damals.
Quadratisch - gezackter Rand.
Klein Burkhard mit Schwester und vier großen Augen.
Der Rest ist Geschichte.
Die gestrickten Socken aus Wolle kratzten und wärmten,
und da sie vom Schaf waren wunderte es mich sehr,
dass diese Tiere keine Anzeichen von Juckreiz hatten.
Eigentlich müssten sie sich bei soviel Wolle den ganzen Tag auf dem Rücken wälzen ...

Tun sie bis heute nicht.
Das Geheimnis mag darin liegen, dass sie bis heute keine Socken tragen.
Selbst nicht bei Frost, der über Nacht kommt und alles auf seine Art verzaubert ...

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