Ein seltsamer Lichtschein lag über dem sonst so dunklen Winterwald.
Ganz verzaubert sah er aus.
Silbern glitzerte die dicke Schneeschicht, die den Waldboden bedeckte
und die Zweige und Äste der Bäume schwer nach unten drückte.
Hin und wieder rieselte eine kleine Pulverschneelawine zu Boden,
wenn der Wind leise durch den Wald strich.
Ab und zu blinkte es hell auf der Schneedecke,
als wären dort viele kleine Lichtpunkte angebracht,
die abwechselnd aufleuchteten.

Inmitten dieser Idylle fristete Bobby, das Rentier, sein einsames Leben.

"Warum war ich nur so stur?", murmelte er die ganze Zeit.
Ruhelos wanderte er hin und her.
"Was habe ich mir nur dabei gedacht?" ... das Rentier begriff sein eigenes Verhalten nicht mehr.

Was war geschehen?
Bobby wurde im letzten Jahr, in der Weihnachtswoche, von seiner Sippe
hierher auf die Erde verbannt, weil er den Gehorsam verweigert hatte.

Er hatte es abgelehnt, als Schlittenrentier in der Weihnachtszeit durch die Lande zu eilen
und mit dem Christkind die Geschenke an die Kinder in aller Welt zu verteilen.

Die meisten seiner Artgenossen empfanden es als besondere Ehre,
an der Seite des Christkinds das Universum zu bereisen.
Aber ihm stand der Sinn ganz und gar nicht danach.
Dafür war er sich zu schade.
Ihm war der Stress einfach zu groß.
Nein, er wollte nicht schuften, bis er halb tot in den Seilen hing.
Er wollte lieber auf der himmlischen Wolkenwiese und im Goldsternenwald entlang der Milchstraße leben.
Ihm schwebte es vor, eine eigene Familie zu gründen und stolzer Vater von ein bis zwei Kindern werden.
Dazu fühlte er sich berufen.

Diesen Wunsch hatte Bobby auch während der letzten Lagebesprechung vor Weihnachten deutlich geäußert.
Doch man hatte ihn im Vorfeld bereits als Reise-Rentier verplant; ohne ihn zu fragen.
Das war es auch, was ihn so vehement ärgerte,
dass er einfach aus der Rolle fiel, rebellierte und stur blieb!

Seine Gehorsamsverweigerung kam ihm teuer zu stehen.
Sie hatte zur Folge, dass das Christkind mit einem schnellen Gespann weniger
zur Erde reisen musste und dadurch mit der Zustellung der Geschenke fast in Zeitnot kam.
Ein nahezu unverzeihlicher Fehler!
Die himmlische Regierung gab Anweisung, dem Rebell Bobby
unnachsichtig die richtigen Flötentöne beizubringen.

Nun hatte er die Konsequenzen zu tragen: Allein auf sich gestellt musste er sehen,
wie er im dunklen Wald auf der Erde zurecht kam.
Im Frühling, Sommer und Herbst konnte er ja Nahrung finden,
lange Spaziergänge machen und sich irgendwie die Zeit vertreiben.

Im Winter aber war das Einsiedlerleben ziemlich schwierig.
Wäre da nicht der nette Förster, der ihn immer wieder mit Futter versorgte
und ihm einen Unterstand mit einer Futterkrippe gebaut hatte, in der Bobby auch manchmal
Leckereien wie Äpfel und Nüsse fand, er wäre längst nicht mehr am Leben.

Während dieser tristen, einsamen Wintertage hatte er es schon oft
aus tiefster Seele bereut, gegenüber dem Christkind und seinen Verwandten
so aufsässig gewesen zu sein.
Es tat ihm aufrichtig leid, und er vergoss ein paar dicke Tränen.

"Wenn ich doch nur wieder zurück könnte", schluchzte er.

Jetzt, da Weihnachten wieder nahe war, konnte Bobby nur hoffen,
dass das Christkind sich erweichen ließ, ihn wieder in den himmlischen Mitarbeiterstab aufzunehmen.
Er hatte doch nun lange genug die Vorzüge des Paradieses entbehren müssen ...

... und siehe da, von weit her hörte man helles Glockengeläute,
der Lichtschein wurde intensiver und in einer Pulverschneewolke
nahte ein silberner Schlitten, der genau vor Bobby anhielt.

"Ich habe deine Tränen gesehen", sprach das Christkind.
"Komm mit nach Hause. Weihnachten steht vor der Tür, und ich brauche jede Hilfe, die ich bekommen kann.
Du machst doch mit, nicht wahr?
Und im Anschluss daran kannst du so lange auf der Himmelswiese leben wie du möchtest."

"Ja, ich will dir helfen bei deiner Reise zu den Kindern!"

Bobby konnte kaum sprechen vor Rührung, dass sein sehnlichster Wunsch sich nun bald erfüllen würde.
Das Christkind hatte ihn, den Rebell, nicht vergessen!
Und es war nicht mehr böse auf ihn.
Bobby war glücklich.


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