Mira erzählt:

Unsere Rundreise durch Israel begann in Tel Aviv.
Einige Stationen hatten wir bereits hinter uns, als wir am 23.12.1982
erste Eindrücke von Jerusalem sammelten und dort gegen Abend Hotelzimmer bezogen.
Zu meiner Freundin und mir hatten sich zwischenzeitlich ein Mann und zwei Frauen unseres Alters dazugesellt.
Wir Fünf bildeten nicht nur abends an der Hotelbar den "harten Kern" der Gruppe
mit über 30 Reiseteilnehmern und hatten viel Spaß miteinander.

Am nächsten Tag starteten wir mit dem Bus zur großen Stadtbesichtigung.
Wir Fünf waren uns bereits am Vortag schnell einig geworden,
dass der Heilige Abend von uns gestaltet werden sollte,
da das Programm des Veranstalters diesbezüglich nichts vorsah.

Beim Wandeln auf der Via Dolorosa schmissen wir einige Schekel zusammen
und kauften für alle der Gruppe kleine Glöckchen aus Olivenholz.
Als wir anschließend mehrere Kirchen besuchten, erwarben wir in einer vier lange, weiße Kerzen,
die wir nicht dort brennend aufstellten, sondern mit ins Hotel nahmen.

In der nächsten Kirche schmückten junge Männer Christbäume - wie auf Bestellung.
Ich sprach sie an, es waren deutsche Theologiestudenten und schnell hatte ich zwei Tüten Lametta erbettelt.
Auf der Rückfahrt zum Hotel lud meine Freundin die Anwesenden im Bus ein,
vor dem Abendessen eine weihnachtliche Feier mit uns zu begehen,
in einem separaten Raum des Hotels, abseits der anderen Hotelgäste.

Im Hotel angekommen begann für uns Fünf der Stress:
Aus meinem Reisenähgarnzopf zogen wir die roten Fäden heraus und fädelten sie in die Ösen der Glöckchen.
Vier unserer Zahnputzgläser wurden in der Anlage vorm Hotel mit Sand gefüllt
und da hinein stellten wir die Kerzen.

In einer Ecke der Gesellschaftsräume hatte ich eine Palme entdeckt,
deren Äste nach allen Seiten in den Raum reichten.
 Diese Palme stellten wir auf einen kleinen runden Tisch mit bis auf den Boden reichender weißer Decke in "unseren Raum".
So stand die Palme auf Augenhöhe - wie ein schöner Weihnachtsbaum - und schnell war sie
geschmückt mit den Glöckchen am roten Faden und dem Lametta.

Die Kerzen stellten wir rechts und links daneben.
Später ließen ihre Flammen auch das Lametta erstrahlen.
Für jedes Gruppenmitglied wurde ein Stuhl so gestellt, dass die Palme wie einen Pol im Oval bildete.

Wir Fünf vereinbarten einige Weihnachtslieder und verteilten Aufgaben:
Wer stimmt die Lieder an?
Wer bringt die Bibel aus dem Zimmer mit und sagt wann wem was usw. ...

Pünktlich zur vereinbarten Zeit waren alle Stühle besetzt.
Alle waren der Einladung gefolgt, hatten sich chic gemacht
und sahen die Palme und uns mit großen Augen erwartungsvoll an.

Nach Worten der Begrüßung stimmten wir die Lieder an:
"Macht hoch die Tür, die Tor macht weit" und "Maria durch ein Dornwald ging" und alle sangen mit.

Die Weihnachtsgeschichte nach Lukas trug unser Mann nach der ersten Strophe des Liedes
"Vom Himmel hoch, da komm ich her" vor und weiter ließen wir die Lieder "Zu Betlehem geboren"
und "Stille Nacht, heilige Nacht" erklingen.

Vor dem Abschlusslied beteten wir gemeinsam ein "Vater unser" für den Frieden Israels.
Aus gegebenem Anlass standen an diesen Tagen an vielen Stellen und besonders in Jerusalem
Soldaten mit Maschinengewehren im Anschlag - was zwischenzeitlich
evtl. ständig so ist (?), damals für uns gewöhnungsbedürftig.

Wie abgesprochen betraten danach zwei Kellner den Raum
mit einem Wagen mit Weingläsern, Rotwein, Weißwein und Mineralwasser.

Als jede und jeder ein gefülltes Glas in der Hand hielt, wünschten wir gesegnete Weihnachten
und luden alle ein, unseren "Weihnachtsbaum" gleich noch vor dem Abendessen zu plündern.

Es blieb weder ein Glöckchen noch ein Faden Lametta an der Palme hängen.

Während der Weihnachtsfeier rollten etliche Tränen der Rührung.
Still wechselten wir schließlich vom Feierraum in den Speisesaal,
nahmen die Kerzen mit und Platz an den Tischen, die wir Fünf zu einer großen Tafel hatten zusammenstellen lassen.

Wir strahlten uns alle glücklich an und ließen uns das "Festessen" schmecken – langsam fanden auch alle
wieder Worte ... und etliche der älteren Mitreisenden gestanden uns, dass sie dem Heiligen Abend
im Vorfeld mit "Bauchschmerzen" entgegen gesehen hätten - und hätten nun
einen besonderen, wunderschönen Heiligen Abend erleben dürfen und bedankten sich sichtlich bewegt.

Ein solcher Heiliger Abend kommt nicht "alle Jahre wieder".

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