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6. Juli 2018


Die klassischen Gedichte von 18hundertsoundsoviel ... entweder

- klingen sie komisch (seltsame Worte, gedrechselte Formulierungen, alte Denkbilder)
- sind sie gut, aber man hat sie schon tausend Mal gelesen (der Mörike, der Frühling)
- sind sie langweilig und man kann nicht so richtig was damit anfangen

Doch ... kann man denn auch noch welche entdecken ? Gibt es sowas ?

Man kanns zumindest versuchen ... und findet dann da und dort schon noch was.


An die Geliebte

Den Teig deiner Reize knet' ich stets in meinen Sinnen,
Hoch geht er auf, als wäre Hefe drinnen;
Du bist ein Löschpapier, das meine Sinnen trinket,
Du bist ein Teich, worin mein Herz versinket.

Könnt' ich deine Liebe dadurch erhalten,
Die Erde wollt' ich wie einen Käse spalten,
Ich schlüge die Sonne mit Keulen tot
Und brächte sie dir zum Abendbrot.


Karl Herloßsohn (1804-1849)


Das Gedicht ist viel länger ... "zu" lang für eine Sammlung mit anderen Gedichten
(das überfordert dann die Konzentration) ... ich hab zwei mal vier Zeilen ausgesucht.

Als nächstes ein Regengruß ... hilft zwar nicht, dass es regnet,
aber der Gruß ist auch fast 200 Jahre alt:

Regen und Unmut

Böses Wetter, böses Wetter!
Es entladen sich die Götter,
Reinigen ihr Wolkenhaus,
Und die Menschen badens aus.


Franz Grillparzer (1791-1872)


Frohes Planschen uns allen ... auch am kommenden Wochenende ... aber selbst wenns regnet, dann kann man sich die Freizeit auch angenehm gestalten ... man muss nur aufpassen ...


... dass man das Richtige isst *gg*.

Das war das Fräulein Liebetraut...

Das war das Fräulein Liebetraut,
das an den Folgen einer Traube litt.
Quälend rumorten ihre Triebe laut,
weshalb sie schnell in jene Laube tritt.

Erich Mühsam (1878-1934)


Man sollte nicht in Lauben treten, da geht das Holz oder die Füße kaputt ;)).
Aber besser man tritt noch zu, als dass man das gar nicht mehr kann:

Auf einen gewissen Leichenredner

O Redner! dein Gesicht zieht jämmerliche Falten,
Indem dein Maul erbärmlich spricht.
Eh du mir sollst die Leichenrede halten,
Wahrhaftig, lieber sterb' ich nicht!


Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)


Und wenn man an nix Böses denkt, dann darf man das lesen:

Der Brüstchen Rosenknospen sind
Epigrammatisch gefeilet;
Unsäglich entzückend ist die Zäsur,
Die streng den Busen teilet.

Hier atmet wahre Poesie!
Anmut in jeder Wendung!
Und auf der Stirne trägt das Lied
Den Stempel der Vollendung.

Lobsingen will ich dir, o Herr,
Und dich im Staub anbeten!
Wir sind nur Stümper gegen dich,
Den himmlischen Poeten.


Wer hat denn solche Poesie verbrochen ??
Niemand Geringeres als der Heinrich Heine, denn das sind Zeilen
aus dem Gedicht "das Hohelied". Auf die Frau natürlich.

Noch eins vom Heinrich:

Das Fräulein stand am Meere...

Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.

"Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück."



Liebe am Meer ... mehr Meer, mehr Liebe ... oder Liebe im Garten:

Im Garten

Die hohen Himbeerwände
Trennten dich und mich,
Doch im Laubwerk unsre Hände
Fanden von selber sich.

Die Hecke konnt' es nicht wehren,
Wie hoch sie immer stund:
Ich reichte dir die Beeren,
Und du reichtest mir deinen Mund.

Ach, schrittest du durch den Garten
Noch einmal im raschen Gang,
Wie gerne wollt' ich warten,
Warten stundenlang.


Theodor Fontane (1819-1898)


Und was, wenn man keine Lust zum Dichten hat.
Wenn man viel zu faul dafür ist.
Dann dichtet man dieses:

Lob der Faulheit

Faulheit jetzo will ich dir
Auch ein kleines Loblied bringen.-
O -- wie -- sau -- er -- wird es mir, --
Dich -- nach Würden -- zu besingen!
Doch, ich will mein Bestes tun,
Nach der Arbeit ist gut ruhn.

Höchstes Gut, wer Dich nur hat,
Dessen ungestörtes Leben --
Ach! -- ich -- gähn -- ich -- werde matt --
Nun -- so -- magst du -- mir`s vergeben,
Dass ich Dich nicht singen kann;
Du verhinderst mich ja dran.


Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)


Einer fehlt noch ... der gute Busch ... der muss hier auch mit rein:

Die erste alte Tante sprach

Die erste alte Tante sprach:
Wir müssen nun auch dran denken,
Was wir zu ihrem Namenstag
Dem guten Sophiechen schenken.

Drauf sprach die zweite Tante kühn:
Ich schlage vor, wir entscheiden
Uns für ein Kleid in Erbsengrün,
Das mag Sophiechen nicht leiden.

Der dritten Tante war das recht:
Ja, sprach sie, mit gelben Ranken!
Ich weiß, sie ärgert sich nicht schlecht
Und muss sich auch noch bedanken.


Wilhelm Busch (1832-1908)


Joachim Ringelnatz fehlt auch noch ?
Ja, da bring ich demnächst auch mal wieder was,
hab nämlich das Buch mit seinem Gesamtwerk wieder gefunden ;)).

Schönen Freitag Euch Allen :)).
 



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