Renate F. erzählt:

Monika ist die Jüngste von 4 Geschwistern, ein Nachzügler.
5 Jahre alt und voller Vorfreude auf das Weihnachtsfest.
Die drei großen Geschwister sind ja schon sooo viel erfahrener im Weihnachten feiern.
Aber auch ihre Augen strahlen und der Schalk blitzt aus ihnen,
wenn es gilt, das kleine Schwesterlein zu necken.

Die ganze Liebe der Kleinen an Weihnachten galt dem Tannenbaum,
der jedes Jahr, vom Boden bis zur Decke reichend, grün und üppig gewachsen,
aus dem eigenen großen Garten der Familie ins Haus geholt wurde.
Er wurde geschmückt mit vielen bunten Kugeln, glitzernden Glasvögeln,
Lametta aussehend wie Eiszapfen und leuchtenden Kerzen.
Wie schön und gerade stand der Baum im Wohnzimmer!

Und an den vier vorherigen Weihnachten in Monikas Leben
wurde er von ihr mit großen Augen andächtig bestaunt, von den kleinen Händen sogar gestreichelt.
Die unter ihm liegenden Geschenke, die der Weihnachtsmann gebracht hatte, waren gar nicht so wichtig.
Jeden Morgen wurde der Baum zuerst begrüßt und ausgiebig betrachtet,
unter ihm gespielt, bis hin zu dem Tag, an dem der grüne Freund
dann nadelnd das Haus wieder verlassen musste, SO würde es auch dieses Jahr wieder sein!

Heiligabend, am Morgen, der Vater ist noch im Dienst, die Mutter und die große Schwester
sind mit allerlei Dingen und Vorbereitungen im Hause beschäftigt,
ziehen die beiden tatendurstigen Brüder, mit Axt, Säge und guten Ratschlägen bewaffnet,
in den Garten, um aus den vorhandenen prächtigen und schön groß gewachsenen Tannenbäumen
gerade den Baum auszusuchen, der auch allen gefallen würde.
Sie kennen ja alle Tücken und Diskussionen, haben aber bisher immer
ihre Aufgabe verantwortungsvoll und zu aller Zufriedenheit gelöst.

Und wie die beiden sich nun umsehen, um den richtigen Hausgenossen auszuwählen,
fällt ihr liebevoll brüderlicher Blick auf den genau richtigen Baum!
Sie wissen ja von der großen Weihnachtsbaumliebe ihres Schwesterleins.

"Der ist es!"

Oh ja, sie sind sich sofort einig und tragen ihre leicht zu habende Beute ins Wohnzimmer.

Verschwörerische Blicke werden zwischen den beiden gewechselt,
der Ständer hergeholt und der Baum hineingestopft, in die vorbereitete Ecke gestellt,
schnell noch eine Handvoll Lametta darüber geworfen und dann die vorhandene Familie zusammengerufen.

Mit stolz geschwellter Brust, Tannennadeln in den Haaren, Matsch an den Schuhen
und noch in den Arbeitssachen steckend - so stehen sie da erwartungsvoll und freuen sich!
Mutter schmunzelt, die große Schwester prustet lachend los und ... die kleine Monika ist entsetzt.
Das Bäumchen ist aber auch wirklich sehr apart!
Knapp einen Meter hoch, vollkommen windschief gewachsen,
und nicht eine einzige Nadel hat es noch an seinen krummen und verdörrten Ästchen!

"Warte nur, bis Papa kommt, der findet den Baum bestimmt auch nicht toll",
heult Monika los und schluchzt hoffnungsvoll:
"Er wird einen viiiel besseren Baum aussuchen!" ...
... und natürlich mit den garstigen Brüdern schimpfen, schnieft sie vor sich hin.

Es ist Mittagszeit, die beiden Strolche kugeln sich noch immer wegen ihres Streiches
und der heiß herbeigesehnte Vater kommt endlich heim.
Zielstrebig geht er ins Wohnzimmer, er will ja den Baum, den seine Söhne fällten, begutachten.

"Das ist ja ein Klassebaum - der ist toll!" ruft er begeistert aus,
kann aber das Lachen in seinen Augen nicht verbergen.
Für solche Feinheiten sind die tränenschweren Augen der nun vollends enttäuschten Monika nicht mehr zu haben.
Den ganzen Nachmittag jammert sie kläglich wegen des Baumes und ist erst abgelenkt,
als ihre große Schwester mit ihr in die große Kirche zur Andacht geht.

Dort steht ein Baum, einige Meter hoch, nur mit Kerzen und Strohsternen geschmückt, sehr gerade und sehr grün.
Mitten in die Andacht hinein, sehr schön laut und nun mehr empört als enttäuscht, ruft Monika wiederholt:
"Sooo ein Baum soll es sein, und nicht so ein hässlicher!!"
Sie ist nicht zu bremsen.
Und fragt auch laut in die Stille hinein: "Können wir den nicht mitnehmen??!"

Die versammelte Gemeinde schmunzelt, die große Schwester wünscht sich woanders hin und die Brüder zum Teufel.
Aber irgendwann ist auch das überstanden und es geht heim.
Das verabredete Zeichen, dass sie hereindürfen, ist da,
aber das brüderlich so gebeutelte Kind will nicht so recht ins Wohnzimmer.

Misstrauisch lugt sie vorsichtig um die Ecke und da steht er dann:
ein Prachtbaum, vom Boden bis zur Decke, stolz und glänzend, festlich geschmückt, mit brennenden Kerzen.
Ein von den beinahe reuevollen Brüdern doch noch hereingeholter echter Weihnachtsbaum!
Selig strahlen Monikas Augen mit den Kerzen um die Wette - Weihnachten kann soo schön sein!

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