Das kleine Paradies
Ich fuhr noch einmal dran vorbei.
Der Garten muss da gewesen sein, Irrtum ausgeschlossen.
Das alte Dorf hatte sich kaum verändert und lebte seinen
Dornröschenschlaf weiter.
In ihm fuhr ich an modernisierten Fenstern vorbei.
Fachwerk war gestern.
Schön isoliert reihte sich das neue Zeitalter aneinander.
Hier und da ein neues Dach, und heute am Dienstag war Restmülltag.
Nachdem ich das alles einigermaßen verdaut hatte,
geriet ich an den Ortsausgang, an den kleinen Platz von dem ich einen
Überblick hatte.
Ich suchte nach den überragenden Zweigen des Birnbaums,
nach denen des alten Apfelbaumes gleich hinter dem Holztor,
durch das ich ging, wobei mir schon die Spucke im Mund zusammenlief,
dachte ich an die frühreifen Stachelbeeren, vor denen ich mich wohlig
schüttelte.
Alles hatte dort seine Unordnung und wurde zu einem Erlebnisgang
auf Augenhöhe eines Johannisbeerstrauchs.
Auch wenn die steinalte Tante ihre Augen nicht von mir nahm,
konnte sie es doch nicht verhindern, wenn ich etwas probierte bevor es
reif war,
oder über ein frisch vorbereitetes Saateckchen stiefelte.
Ich blickte also auf all das, was mir durch den Kopf ging.
Brennnesseln und Disteln hatten sich die gute schwarzbraune Erde
gewünscht
und sie kampflos bekommen.
Keine verknöcherte Hand griff nach ihnen,
sie wuchsen wohl erstaunt über ihre Freiheiten und überzogen alles
mit ihrer eigenen Gegenwart.
Auch zur Freude für alles Gesumm, was sich an ihnen satt saugte.
Von hier kam vieles, was in Rillengläsern eingekocht wurde,
die immer so schwer zu öffnen waren.
Im Winter aber den Sommer wieder auferstehen ließen.
Auf Tortenboden oder zum Nachtisch.
Der umgebende Zaun hielt wohl schon lange nichts mehr, und war schon
damals schräg.
Heute war dieser Nichtsnutz nicht mehr zu sehen.
Einer der Bauern bekam wohl ein Eckchen des Gartenstücks zugesprochen
und nutzte die bis zum Horizont reichende Fläche zum Rapsanbau.
Der Flickenteppich aus kleinen Nutzflächen wich den lukrativen
Anbaureizen
je nach Förderung und Preis.
Nein, ich wehrte mich nicht gegen das alles,
ich bemerkte nur den deutlichen Wandel im Laufe der Zeit.
Einer Zeit, in der aus den Fenstern nachts kein bläuliches Flackerlicht
von Fernsehern zu sehen war, doch durchaus das warme von Petroleumlampen
oder ganz schwachen 25 Watt Birnen.
Es scheint schwer mir vorzustellen wie automatisierte Roboter durchs
Dorf fahren
und Essen zu den Häusern bringen oder Medikamente.
Über allem die Drohnen, die eine geeignete Nutzfläche herausfinden.
Dieser Garten meiner Fahrt ins "Es war einmal" würde den Bedürfnissen
nicht mehr gerecht,
keiner weiteren Verwendung zuzumuten.
Doch wenn das alles so sein wird, kann es nicht die Freude aufs Stöbern
auf Augenhöhe
mit den Johannisbeeren ersetzen.
Einfach aus einem Grund:
Ich bin gewachsen und erwachsen geworden.
[ Burkhard Jysch ]
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