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Die Teerstraße ![]() An einem dieser heißen Sommertage, gleich nach dem Mittagessen bei uns, beschlossen mein damaliger Freund aus dem Dorf hinter den Bergen und ich die Straße durchs Feld bis zum Ende hin zu nehmen, um sie zwischen dem hohen Gras und den wechselnden Kornfeldern bis zum Friedhof zu erwandern. Dieser lag wie sie selbst versteckt, und nur wer es wusste, für wen die hohen Pappeln Wache hielten unter ihnen, kannte den letzten Ort auf Erden. Geteert wurde sie für die Traktoren der Bauern, die jetzt immer häufiger mit schwerem Gerät zu ihren Feldern fuhren, und damit sie nicht in den Spurrinnen stecken blieben, teerte man sie noch vor der eigentlichen Straße, die mein Schulweg war. Klaus kannte ich aus den Busfahrten in die große Stadt, wir waren so etwas wie Freunde geworden. Wir konnten über dieselben Dinge lachen, und hatten so manches verzapft, was man nicht tut. Da sich die Straße wand und Höhenunterschiede hatte, konnten wir nur jeweils die ersten Meter einsehen. Begleitet wurde sie vom Graben, der dem Wald entsprang, eiskaltes Wasser führte und voller Leben war. Genau wie seine Umgebung Biotop, Kinderstube kleiner Fische und Molche. Über ihn drängten sich Kamille und Mohnblüten, Kornblumen in einem Blau, das man nur bei Hofe sah in Kleidern zu festlichen Anlässen. Wir waren uns zu keiner Zeit bewusst, in welcher Welt wir uns entschlossen diesen Weg zu gehen. Es gab wichtigeres über das es sich lohnte nachzudenken. Es war ja nur eine einfache Teerstraße, und am Ende ein Friedhof. Dass ich eines damals so fernen Tages überhaupt darüber schreiben würde schon mal gar nicht. Begleitet von sirrendem Gezwitscher mehrerer Feldlerchen, dem durch Sommerwindgeraschel verursachten Geräuschen im Korn und unseren leisen Gesprächen waren wir gefühlt die einzigen weltweit, die unsichtbar durchs hohe Gras neben der Straße feststellen mussten, dass die Sonne heiß war und die Schuhe falsch. Ab und an überwanden wir das üppige Kraut neben dem Bach und stellten die Füße ins kalte Wasser, um uns zu erfrischen. Außer dem Himmel waren nur in der Ferne blass blaue Berge des Weserberglandes zu sehen, die ebenso im Sommerschlaf lagen wie alles ringsum. Felder neben der Straße wechselten noch in schneller Folge, Monokultur war noch ein Fremdwort, jeder half jedem bei der Ernte und Rückenschmerzen wurden untereinander geteilt, wenn es ums Rübenverziehen ging, wobei alles, was nicht Rübe werden sollte, entfernt wurde in gebückter Haltung! Meine Erinnerung reicht zurück, dass es noch dauern sollte, bis der fremde beißende Geruch von Unkrautvernichtern und Kunstdünger umherzog, und es der Kraft der Natur überlassen wurde, die aus Nützlingen und Schädlingen sich gegenseitig zu bewachen. Am Ende der Straße lag plötzlich der Friedhof, der von einer immergrünen Hecke umrandet da lag. Beim Durchgang lasen wir die Namen und rechneten im Kopf die Lebenszeit der Verstorbenen aus. Beruhigt waren wir nicht, denn es waren Kinder dabei, die niemals diese Straße kennen lernen würden, und denen es bestimmt war, eine Lebensabkürzung nehmen zu müssen als Schicksal. Zum Kaffeetrinken mit selbst gebackenem Zuckerkuchen waren wir zurück und nahmen die Straße am Wald entlang, der eine ganz andere Geschichte erzählte. Eine von Bäumen, die längst vor uns dort wuchsen und Krieg erleben mussten, Bombennotabwürfe vor Hannover, das ganze Elend einer so friedlichen Welt, die in der Lage war so zu sein, wie sie vielleicht einmal erdacht war. [ Burkhard Jysch ] |