Mail 1:
Heute Morgen möchte ich dir kurz mitteilen, dass das Leben ein fieser Verräter
sein kann!
Nachdem ich meinen Ehepartner durch Suizid verloren habe, unsere älteste Tochter
vor
fast fünfzehn Jahren an Mamma-Karzinom mit 31 Jahren starb, und ich danach
zusammen mit meinem damals 18 Jahre alten Sohn, den damals 11 Jahre alten Sohn
unserer verstorbenen Tochter durch das Leben bis heute begleitet haben, er heute
ein wundervoller, erfolgreicher 26 Jahre alter Sportwissenschaftler ist, wir
also eigentlich schon alle in unserer kleinen Familie (so wie die von dir und
Beate - kleine Familie...)meinten genug zu tragen bekommen zu haben ...
... brach meine zweitälteste Tochter gestern um 9h in der Dusche im wahrsten
Sinne sang- und klanglos zusammen, mein anwesender Schwiegersohn konnte sie
wieder reanimieren und bis zum Eintreffen des Notarztes so "im Leben" halten.
Der Notarzt musste sie dann allerdings siebenfach schocken etc., um sie in die
Klinik bringen zu können.
Nun liegt meine Tochter, unsere Schwester,Tante, aber vor allen Dingen Ehefrau
und Mama von meinen beiden jüngsten Enkelsöhnen (6/11 Jahre alt) im Herz- und
Gefäßzentrum und 48 Stunden seit gestern Morgen werden darüber entscheiden, ob
sie überhaupt überleben wird. Wenn ja, dann werden wir aber nie mehr die Tochter
haben, die wir alle hatten. Sie wird dann schwerstbehindert sein.
Wie viel kann ein Mensch, wie viel kann eine Mutter (noch) ertragen, was macht
es mit den beiden kleinen Kindern, was mit meinem Sohn, der das zweite Mal eine
seiner beiden Schwestern ...
Mail 2, zwei Wochen später:
... nach wie vor schaffe ich es, dass ich täglich - so als wäre meine Welt noch
im Lot :-) - bei Seelenfarben vorbeischaue.
Was meine Tochter anbelangt: Heute vor vierzehn Tagen hatte sie "das Ereignis",
dessen Ursache den Ärzten und uns noch immer nicht klar ist, es gibt nur
Vermutungen dazu. Aber das ist auch nicht (mehr so) wichtig!
Nun müssen wir alle mit den Fakten arbeiten und leben, die sie uns noch
präsentiert. Das sind seit zwei Tagen "aktive" Bewegungen von Armen und Beinen,
Drehen des Kopfes, "gähnen", Grimassen ziehen ... was davon noch willkürlich
gesteuert oder nur unwillkürlichen Dingen entspringt, das vermag bis dato keiner
zu sagen.
Sie ist bis dato leider noch nicht aufgewacht, sodass sie auf der IS der
Kardiologie verbleiben wird, obgleich langsam die Erhebung der neurologischen
Befunde wichtig wäre und infolgedessen eine Frührehabilitation einsetzen könnte
...
Die sie zur Zeit betreuenden Ärzte haben alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass
sie - sobald ein Bett frei wird - in eine Klinik in der Nähe verlegt werden
kann, die sowohl über eine Akut-Station gleich IS verfügt als auch über
Kardiologie und Neurologie. Wie auch vor vierzehn Tagen gilt deshalb:
WIR WARTEN! Dies in jeder Beziehung! Schauen wir mal, was uns die kommenden
vierzehn Tage bringen werden!
Mail 3, nachdem ich gefragt habe, ob ich die Mail hier
veröffentlichen darf:
Das darfst du gerne tun! Ich/wir können alle guten Gedanke, Gebete etc.
gebrauchen! Vor uns wird ein langer, sehr langer Weg liegen, darüber sind wir
uns in der Familie alle einig.
Wir sprechen da sicherlich nicht von Wochen oder Monaten ... wir werden über
jedes klitzekleine "kann meine Tochter" schon glücklich sein ...
Mein Schwiegersohn scheint diese Gedanken zurzeit (noch) auszublenden, das ist
zum einen gut so, denn er muss im Moment viel regeln, andererseits macht es uns
natürlich Sorge, wenn er wird begreifen müssen, dass er seine Frau, die Mutter
seiner Kinder, nie wieder so zurückbekommen wird, wie sie noch frühmorgens am
12.03.18 war.
Die Kinder sind auch zurzeit noch nicht vollständig aufgeklärt, das kann auch
nur häppchenweise geschehen, denn zurzeit können sie ja auch nicht zur Mama auf
die IS gebracht werden.
Auch diese Last liegt uns allen mehr als nur schwer auf dem Herzen ... |