Vaters große Reise 1944

Gerlinde (aus Sachsen) schreibt:

Dies ist das Vorwort für eine neue Lichtblickrubrik

Wir haben mehrere Enkel.
Zwei von ihnen sind 2002 geboren, d.h., sie sind 19 bzw. fast 19 Jahre alt.
Der eine hat im vergangenen Jahr sein Abi gemacht und plante im Anschluss
eine Reise mit Freunden nach Brasilien.
Es gibt da die Möglichkeit, zu arbeiten und zu helfen
und nebenbei Land und Leute kennenzulernen.

Leider wurde sehr bald klar, dass aus dieser Reise nichts werden kann:
Corona veränderte die Welt und damit die Pläne des jungen Mannes.
Wie und wo genau er im kommenden Herbst seine Ausbildung
oder ein Studium beginnen kann, ist noch nicht sicher.

Der zweite Enkel ist mitten in den Prüfungsvorbereitungen
und wartet auf die Zusagen für sein FSJ oder einen Praktikumsplatz.

Vielleicht gibt es im nächsten Jahr einen Lehramtsbewerber mehr.
Es sind ganz normale Pläne für junge Leute im 21. Jahrhundert.
Sie haben Träume und Wünsche, Pläne und Illusionen und sie haben ein Ziel vor ihren Augen.

Fast 19 Jahre alt war der junge Mann, der im Januar 1944 in einen Zug stieg.
Er war als 14jähriger wie die meisten jungen Leute seiner Zeit
nach dem 8. Schuljahr von der Schule gegangen.
Er begann eine Lehre in der Weberei, in der sein Vater
und seine älteren Schwestern ebenfalls gelernt hatten.

Auch er hatte Pläne und Träume, Wünsche und Illusionen.
Sein unmittelbares Ziel war eine Zugfahrt: diese sollte von
Waldkirchen (Erzgebirge) über Freiberg und Dresden nach Leitmeritz (heute Litomerice)
ins nördliche Tschechien führen (insgesamt etwas mehr als 100 Kilometer).
Der Grund der Reise war der Beginn seiner Dienstzeit in der Wehrmacht.
Er fuhr also zu seiner Kaserne.
Eine Zugfahrt, die sein Leben total verändern würde!

Ich habe beim Räumen ein "Buch" entdeckt,
für das meine Tante die Briefe ihres reisenden "kleinen",
zehn Jahre jüngeren Bruders per Schreibmaschine abgeschrieben hat.

Sie hat die Seiten binden lassen und ihrem Bruder
ca. fünf Jahre nach Reiseantritt als Buch überreicht.

Ich lade euch ein, meinen Vater auf seiner Reise zu begleiten.
Sie war länger als gedacht, viel schwerer als erträumt.

Das Buch erzählt von Begeisterung und Zweifeln, von Siegen und Niederlagen,
von Tiefen und Höhepunkten. Ein Kriegstagebuch eben.

Lasst euch einfach in die Vergangenheit mitnehmen.