Vaters große Reise 1947

Folge 20











Gerlinde schreibt dazu:

Vaters große Reise 5.1. bis 25.5.1947

Wieder ist es Januar, Januar 1947 - im Januar 1944
ist der 18jährige Werner aufgebrochen.
Die ersten Briefe lasen sich wie ein Abenteuer.
Aus dem 18jährigen, der schnell den Krieg beenden,
die Feinde bezwingen wollte, ist ein Gefangener, ein Verlierer, geworden.

Zwar ist der Krieg schon eine ganze Weile vorbei,
aber noch hat Werner keine Chance, nach Hause zu kommen.

Die Gefangenen haben wenig Zeit zum Schreiben und es darf
auch nicht zu oft geschrieben werden.
Es gibt immer mal Gerüchte, wann mit einer Entlassung zu rechnen sei.

Es geht uns Lesern wie den Gefangenen damals - wir erfahren
nichts Genaues über Zeitpunkt und Reihenfolge der Entlassungen.

Werner schreibt am 9.2.47, einen Tag vor seinem 22. Geburtstag,
und darin liegt so viel Sehnsucht und Hoffnung auf ein Wiedersehen mit den Eltern,
auf ein Lieblingsessen zum Geburtstag und die kleine Portion Optimismus
"... ich beiß‘ schon die Zähne zusammen und halte mich aufrecht...",
die ihn immer wieder hoffen lässt.

Die Rauchemaad, auf die er sich freut, wird bei Wikipedia beschrieben:
Wikipedia --> Rauchemaad

In der Nachkriegszeit war wenig Speck oder Fett oder Butter dabei,
ich erinnere mich, dass es dieses Essen auch noch oft bei uns gab
und es war NICHT mein Lieblingsessen!.

Nach dem Geburtstag gibt es für Werner wieder einen Lagerwechsel,
d.h., er muss aushalten, dass eine Weile keine Post kommt.
Es dauert eben, bis die Post wieder nachgeschickt wird.

Noch glaubt er, dass es in diesem Lager besser sei als in Dijon.
Ein paar Wochen später ist er klüger: in diesem Lager herrscht Hunger!
Wird er damit klar kommen?
Kann die Familie aus der Ferne helfen?
Sie versuchen es ...

Für mich erschreckend: Vater war 1,80 m groß,
die 79 kg würden heute jeden Arzt begeistern!

"Gefangener" bedeutet, es gibt täglich zu arbeiten.
Täglich viele Stunden harte Arbeit - die Arbeit an der frischen Luft macht Hunger!
Und dann gibt es nicht genug zu essen!
Und da erfahren wir es auch schon: 57 kg wiegt Werner noch!
Verständlich sein Wunsch: Heim oder einmal wieder satt sein.
Wird sich sein Wunsch erfüllen?

April 1947, der Krieg ist seit fast zwei Jahren vorbei.
Nicht alles, was passiert, steht in den Briefen die daheim ankommen ...

Ich möchte euch berichten, was Vater uns erzählt hat:

Es wurden noch ein paar Kilo weniger (ich erinnere mich an weniger als 50 kg)
und irgendwann brach Vater zusammen.
Die Zeit auf der Krankenstation war nicht wirklich hilfreich.
Es gab ja auch da nichts zu essen - und es waren
nicht nur die Gefangenen, die Hunger hatten.

Bei der Visite entschied ein Arzt:
kein Puls, kein Blutdruck, keine Reaktionen - der Mann ist tot!
Vater konnte es hören!
Und konnte nicht reagieren!!
Sein lautloser Schrei: "Gott, hilf mir, dass ich nicht lebendig begraben werde!
Ich will dir in Zukunft dienen, mein Leben und Arbeiten soll dir gehören!".

Die Männer kamen, ihn wegzutragen - und verzweifelt versuchte Werner,
sich irgendwie bemerkbar zu machen.
Einem Pfleger war das Wackeln des kleinen Fingers aufgefallen!
Er konnte den Arzt überreden, den Patienten nicht in den kühlen Keller
zu den Toten zu legen, sondern ihn mit an einen wärmeren Ort zu nehmen,
ihn in Decken warm einzuhüllen und ihm immer wieder vorsichtig
etwas Nahrhaftes einzuflößen ... Gott hatte seinen Hilferuf gehört und ihm geholfen.

Zeit seines Lebens hat sich Vater an sein Versprechen gehalten,
seinem Gott die Treue zu halten und von seiner Liebe und Hilfe zu erzählen.

Im Mai kann Vater sich über den Frühling freuen und seinen Lieben daheim berichten,
dass er jetzt einen Essenszuschlag bekommt.
(U.E.-Nachschlag = Unter-Ernährungs-Nachschlag)

So ganz allmählich kann er die verlorenen Pfunde wieder aufholen.
Werner hofft aufs Neue, bald nach Hause zu kommen ...



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