Wenn die weißen Hunde weichen

Was der Opa damit meinte, waren jene letzten weißen Flecken,
die noch gut zu sehen auf dem gegenüber liegenden Hügel sich tapfer gegen ihr Schicksal wehrten,
das schließlich alle erstorbene Natur hoffen ließ.

Und ja, manchmal versuchte ich aus ihren Konturen herauszufinden,
wo sich der größte Hund in diesem Jahr aufhielt,
denn es war jedes Jahr um die Zeit des März, wo die Jagd begann und hier oben endete.

Die Kälte hielt sich im Schatten üppig wuchernder Schlehen,
an dem noch immer verschrumpelte Beeren hingen,
für die sich nicht einmal mehr Vögel interessierten.

Beim Blick aus dem Veranda Fenster zählte ich sie durch,
und kam bei jedem zugewonnenen Tag auf eine kleinere Zahl,
die den Frühling näher bringen würde.

Und dann sagte er noch, nachdem ich ihm immer wieder fragte,
wann denn endlich Frühling sein würde: "Bis der letzte Hund fort ist, wird kein Frühling kommen".

Womit er Recht behalten sollte, wenn es auch schon wärmere Tage zwischenzeitlich gab,
die dann aber bald in sich zusammen fielen; ein Erbe des weichenden Winters,
der niemand fand, der es antreten wollte.

Noch Wochen zuvor lag vor mir die abfallende Wiese aus einem Dreieck bestehend,
von Zäunen umgrenzt mit soliden Eichenstämmen gehaltenem Stacheldraht,
an dem spätestens der letzte Abfahrtslauf auf Skiern endete.

Eichenstämme übten eine große Anziehungskraft auf kleine Abfahrtsläufer aus,
die nur darauf zu warten schienen umarmt zu werden.

Das war Winter, und Schnee lag meterhoch wohl nur in Rückblicken,
in denen die Höhe ganz sicher nicht den Tatsachen entsprach,
aber es war Schnee, schön und weiß und kalt.

Immer wenn ich bei den Schlehen stand, konnte ich meine Spuren verfolgen,
die in noch unberührtem Gelände von dem Geeiere zeugten, das sich weit entfernt von Schwüngen zeigte.

Von dort oben sah ich den schlafenden Wald gegenüber,
seine unbewegten Laubbäume nackt, oder schwer behängte Tannen mit Nassschnee.
Und irgendwie hörte ich schon die Rufe der Zaunpfähle:
"Komm zu mir, umarme mich, ich warte auf dich und halte dich!".

Eines Tages, im späten März, war es soweit.
Der letzte Hund hatte seinen Schwanz verloren,
und alles erschien in einem bräunlichen Moosgrün,
aus dem bald der Löwenzahn eine gelbe Pracht machen würde.

Er breitete sich unterhalb der blühenden Schlehen aus,
und die Zaunpfähle verloren ihren Job, bis die Schwarzbunten wieder auf die Weide getrieben wurden,
um ihre langen Zungen unter dem Draht hindurch zu balancieren,
um das vermeintlich saftigere Gras zu erreichen in dem sie doch selbst standen.

Erst wenn die weißen Hunde weichen wird Frühling sein.
Ein Frühling, den ich längst ohne den Opa erleben darf,
und doch ist er immer noch dabei und blickt mit mir auf die Hügelwiese.
In diesem Jahr soll dort Mais stehen bis zum Horizont ...

[ Burkhard Jysch ]