Eine Weihnachtsgeschichte von Seelenfärbler Burkhard Jysch

Weihnachtsschmäuse

Kann mir mal einer sagen, weshalb es ausgerechnet zu Weihnachten etwas zu essen gibt, dass es das ganze Jahr nicht auf den Tisch schafft? Hat das Fest den Anspruch oder gar die Verpflichtung etwas Kompliziertes zu kochen, schmoren, backen, das die Tendenz hat zu verbrennen, verkorksen oder zerfließen? Es genügen die von mir so geliebten Spaghetti längst nicht. Eine fette Gans muss her, mindestens eine Ente oder ein Puter, der frei laufend längst ausgestorben ist und jetzt im Gedränge der Zuchtanlage gegenseitig am Faltenhals hackt.

Alles das kam bei uns nicht auf den Tisch, und dennoch erlag meine Mutter diesem Zwang fürs Außergewöhnliche. Sie suchte fast verschwörerisch gemeinsam mit meinem Vater einen Teichbesitzer auf, der aus dem Vollen fischen konnte. Zum Beispiel Karpfen. Während also bunt eingewickelte Päckchen mit meinem Namen versehen auf mich ungeduldig warteten, wurde aus dem immer zu kleinen Topf kochenden Wassers ein totes Tier geborgen. Selbst zu Viert hätten sie es nicht geschafft den Karpfen heil zu heben. Irgendetwas fiel immer von ihm ab. Meist war es das Fleisch. Der Fisch wurde unter Zugabe von Zitronensaft oder Essig blau und schaute mit einem gebrochenen Blick in die Runde.

Vater verteilte ihn inklusive Gräten auf die Teller. Dazu gab es Pellkartoffeln und pure gute Butter, wie es damals hieß. Die halbe Zeit war ich damit beschäftigt die Gräten aus meinem Hals zu halten, während von Gegenüber unablässig betont wurde wie lecker doch der Fisch heute sei und wie gut er schmecken würde. Meine Art der Zustimmung beschränkte sich auf das laute Zählen der Gräten, am Tellerrand aufgebahrt. Ich weiß zwar nicht, weshalb andere normale Fische mit der Hälfte der Gräten auskommen, jedenfalls hat der Karpfen mehr als gewöhnlich.

Während ich sein linkes blaues Auge unter eine halbe Kartoffel schob, dachte ich an Spaghetti nach Weihnachten und schwor bei jeder Gräte, dass es meine Kinder zu Weihnachten mal mit einem Tier zu tun bekamen, das nicht eine einzige hätte.

Irgendwann muss es nach dem fünfzehnten Karpfen zu Weihnacht gewesen sein, da äußerte ich leise, ob es nicht auch mal eine Gans geben darf. Fett und braun und ohne Gräten!
Tatsächlich gab man sich die Mühe und holte eine ordentliche vom Hof. Aus einem alten Kochbuch erfuhr Mama, dass sie je nach Gewicht Garzeit brauchte, und es köstlich findet als letzten Liebesdienst etwas Wasser auf die Gänsehaut zu bekommen. Was nicht im Kochbuch stand war die absolute Bedingung, dass die Propangasflasche vor unserem Haus auch genügend gefüllt war.

Heizöl und Gaslieferanten sind extrem empfindlich, wenn sie einen Anruf am Heiligen Abend bekommen, um eine Ersatzflasche anzuschließen. Während der lautstarken Auseinandersetzung kühlte die alte Gans jedenfalls mächtig ab und wartete ungeduldig auf den nächsten Aufguss. Für die Gaslieferung zahlte Vater schon damals umgerechnet den Preis von heute.

Ein Tipp allerdings, der von Vielen bereits befolgt wird:

Bockwürste mit Kartoffelsalat. Ohne blau oder braun und garantiert ohne Gräten.

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