Kann mir mal einer sagen,
weshalb es ausgerechnet zu Weihnachten etwas zu essen gibt, dass es das
ganze Jahr nicht auf den Tisch schafft? Hat das Fest den Anspruch oder
gar die Verpflichtung etwas Kompliziertes zu kochen, schmoren, backen,
das die Tendenz hat zu verbrennen, verkorksen oder zerfließen? Es
genügen die von mir so geliebten Spaghetti längst nicht. Eine fette Gans
muss her, mindestens eine Ente oder ein Puter, der frei laufend längst
ausgestorben ist und jetzt im Gedränge der Zuchtanlage gegenseitig am
Faltenhals hackt.
Alles das kam bei uns nicht auf den Tisch, und dennoch erlag meine
Mutter diesem Zwang fürs Außergewöhnliche. Sie suchte fast
verschwörerisch gemeinsam mit meinem Vater einen Teichbesitzer auf, der
aus dem Vollen fischen konnte. Zum Beispiel Karpfen. Während also bunt
eingewickelte Päckchen mit meinem Namen versehen auf mich ungeduldig
warteten, wurde aus dem immer zu kleinen Topf kochenden Wassers ein
totes Tier geborgen. Selbst zu Viert hätten sie es nicht geschafft den
Karpfen heil zu heben. Irgendetwas fiel immer von ihm ab. Meist war es
das Fleisch. Der Fisch wurde unter Zugabe von Zitronensaft oder Essig
blau und schaute mit einem gebrochenen Blick in die Runde.
Vater verteilte ihn inklusive Gräten auf die Teller. Dazu gab es
Pellkartoffeln und pure gute Butter, wie es damals hieß. Die halbe Zeit
war ich damit beschäftigt die Gräten aus meinem Hals zu halten, während
von Gegenüber unablässig betont wurde wie lecker doch der Fisch heute
sei und wie gut er schmecken würde. Meine Art der Zustimmung beschränkte
sich auf das laute Zählen der Gräten, am Tellerrand aufgebahrt. Ich weiß
zwar nicht, weshalb andere normale Fische mit der Hälfte der Gräten
auskommen, jedenfalls hat der Karpfen mehr als gewöhnlich.
Während ich sein linkes blaues Auge unter eine halbe Kartoffel schob,
dachte ich an Spaghetti nach Weihnachten und schwor bei jeder Gräte,
dass es meine Kinder zu Weihnachten mal mit einem Tier zu tun bekamen,
das nicht eine einzige hätte.
Irgendwann muss es nach dem fünfzehnten Karpfen zu Weihnacht gewesen
sein, da äußerte ich leise, ob es nicht auch mal eine Gans geben darf.
Fett und braun und ohne Gräten!
Tatsächlich gab man sich die Mühe und holte eine ordentliche vom Hof.
Aus einem alten Kochbuch erfuhr Mama, dass sie je nach Gewicht Garzeit
brauchte, und es köstlich findet als letzten Liebesdienst etwas Wasser
auf die Gänsehaut zu bekommen. Was nicht im Kochbuch stand war die
absolute Bedingung, dass die Propangasflasche vor unserem Haus auch
genügend gefüllt war.
Heizöl und Gaslieferanten sind extrem empfindlich, wenn sie einen Anruf
am Heiligen Abend bekommen, um eine Ersatzflasche anzuschließen. Während
der lautstarken Auseinandersetzung kühlte die alte Gans jedenfalls
mächtig ab und wartete ungeduldig auf den nächsten Aufguss. Für die
Gaslieferung zahlte Vater schon damals umgerechnet den Preis von heute.
Ein Tipp allerdings, der von Vielen bereits befolgt wird:
Bockwürste mit Kartoffelsalat. Ohne blau oder braun und garantiert ohne
Gräten. |