Nora erzählt:

Weihnachten – einmal anders

Linz (Donau) war im Jahr 2009 Kulturhauptstadt Europas.
Neben vielen anderen Projekten gab es auch ein kirchliches: Turmeremit im Domturm.

Und so war ich vom 19. bis 26. Dezember 2008 als Eremitin im Turm des Linzer Mariendomes.

"395 Stufen in die Einsamkeit" lautet der Titel eines später erschienenen Buches.
Ich habe mich also auf dieses Abenteuer eingelassen.

An praktischen Dingen gab es einen kleinen Raum (ca. 8 m2) mit Elektroheizung,
fließendem Warm- und Kaltwasser, zwei Kochplatten und ein WC.
Ein Bett, ein paar Bücher, ein Tischchen beim Fenster mit Ausblick auf die Stadt – und sonst nichts.

Eine Woche ohne Dusche, ohne Fernsehen und ohne Handy
(für Notfälle gab es ein eigenes Notruf-Handy, auf dem alle erforderlichen Nummern eingespeist waren).

Das Essen wurde – nach einer Erstbesprechung vor dem ersten Aufstieg – vom Hotel Kolping geliefert;
der wohlgefüllte Rucksack stand jeden Mittag beim Stiegenaufgang.

Ich bin ein Mensch, der gut mit Stille und Alleinsein zurechtkommt (sonst hätte ich mich wohl nicht gemeldet),
die größte Herausforderung für mich war die Stiege.
Immerhin hatte ich zu dieser Zeit schon eine Hüftgelenksprothese,
war also nicht besonders fit für solche Abenteuer.

395 Stufen, die erste Hälfte eine geschlossene Wendeltreppe, dann ist man auf dem Glockenboden.
Da hängen die Domglocken, und man lernt sehr darauf zu achten,
dass man nicht in die Nähe kommt, wenn sie läuten oder schlagen.

Das nächste Viertel der Stiege führt an den Glocken vorbei, noch immer eine Steinstiege,
aber mit "freier Aussicht" auf einer Seite zu den Glocken.

Und das letzte Viertel – eine frei tragende Metalltreppe (rechts und links vergittert)
und am Schluss noch eine Art Brücke, die ein wenig schwingt, wenn man drübergeht.

Aber dann steht man vor der Tür und betritt den kleinen, recht wohnlichen Raum.

Turmeremitin im Jahr der Kulturhauptstadt - für mich war das auch mit dem Gedanken verbunden,
die Menschen da unten "mitzunehmen" in Gedanken und im Gebet.

Ansonsten haben Eremiten zu allen Zeiten sich auch mit Handwerk beschäftigt,
für mich war das Stricken und Häkeln.

Einmal täglich (um die Mittagszeit) geht man hinunter zum Mittagsgebet,
das immer sehr schön gestaltet war, und zu einem Gespräch mit der geistlichen Begleitung,
die jeder Eremit zur Seite gestellt bekommt.
Einsamkeit kann auch Fragen und Probleme aufwerfen, da ist es gut, wenn man mit jemandem sprechen kann.

"Wenn die Seele zur Ruhe kommt, kann man Gott hören" habe ich damals ins Eremiten-Tagebuch geschrieben.
Dieses Tagebuch wurde vom ersten Eremiten begonnen und wird bis heute weitergeführt!

Karl Herndler, ebenfalls Turmeremit, schrieb "Es bedarf nur einer einzigen Woche
schweigend da zu sein, um das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden".

In den Tagen des Advents, so kurz vor Weihnachten, war der Blick hinunter
auf das hektische Treiben in der Stadt durchaus lehrreich – was tun wir uns an,
wenn uns beinahe keine Zeit mehr bleibt zum ruhigen Durchatmen und Hinsetzen!

"Gewählter Rückzug zur Selbsterneuerung" nennt Clemens Sedmak eine solche Auszeit.
Man findet in der Stille neue Zugänge zum eigenen Leben.
Und man sieht auch auf die anderen, die vielen Menschen in der großen Stadt.
 
Um auch anderen Menschen Information zu geben, befindet sich im Dom,
zu ebener Erde, eine maßstabgetreue "Kopie" der Eremitenbehausung.

Am Heiligen Abend war die Stimmung eine ganz eigene.
Davon möchte ich Euch gerne morgen erzählen.

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